Rheinische Post

UND DIE WELT Naturkatas­trophen sind keine Gottesurte­ile

Bei schweren Unwettern scheint der Mensch völlig machtlos zu sein. Und das Unerklärli­che steigert noch das Bedrohungs­potenzial. Doch in vielen Fällen sind die Menschen die Ursache.

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ber die Oma haben wir meist gelacht oder wenigstens geschmunze­lt, wenn sie beim kleinsten Gewitter gleich in den Keller lief und dort im Funzellich­t Gebete gen wütend blitzenden Himmel schickte. Oft so lange, bis alles vorbei war. Als ob über unseren Köpfen gerade eine Art Gottesgeri­cht tobte und sündigen Menschen in der Form des Unwetters eine Strafe oder Mahnung auf den Lebensweg gegeben würde.

Einen solchen Glauben, der in vielen Naturersch­einungen sogleich Gottes Wille oder Tat zu erkennen glaubt, gibt es kaum noch. Allenfalls wird bei Extremen, bei Naturkatas­trophen gerne nach „externen“Verursache­rn gesucht oder danach gefragt, ob es nicht wenigstens in der göttlichen Macht stehe, dergleiche­n zu verhindern. So viele unschuldig­e Menschen unter den Opfern. Und auch Kinder!, heißt es dann. Solche Rufe und Klagen sind vor allem der Not geschuldet und spiegeln unsere Ratlosigke­it. Denn selten fühlen wir uns derart hilflos und auch schutzlos wie bei Naturkatas­trophen. Unsere Angst ist immer dort am größten, wo es schwer wird, Ursachen zu finden. Doch im Unerklärli­chen ruht die Erkenntnis, dass auch im 21. Jahrhunder­t unsere Macht begrenzt ist. „Harvey“und „Irma“sind die jüngsten Ereignisse dieser Art. Und dass beide Hurrikans kurz aufeinande­r die Menschen heimsuchte­n, steigert noch ihr Bedrohungs­potenzial. Uns fehlen momentan sogar die Kategorien, um die Heftigkeit der Stürme beschreibe­n und angemessen dokumentie­ren zu können. Es ist, als werde uns die Kontrolle entzogen. Doch sind in diesem Gefühl zwei Illusionen verborgen. Die eine: Wir hätten die Kontrolle über die Natur je erlangt; die andere: Es gibt jemanden, der uns diese Kontrolle entzieht. Das ist ein Irrglaube als Schutzmaßn­ahme. Denn in vielen Fällen sind wir die Verursache­r für die längst prog- nostiziert­en und rasant zunehmende­n Wetterextr­eme. Wer das leugnet, delegiert Verantwort­ung und lässt überdies wenig Bereitscha­ft erkennen, über wahre Gründe und notwendige Konsequenz­en nachzudenk­en. Die auch vom Klimawande­l forcierten Naturkatas­trophen sind keineswegs der Beweis dafür, dass es Gott nicht gibt. Vielmehr zeugen sie davon, wie verheerend es sein kann, die Bewahrung der Schöpfung nicht als Pflicht und Aufgabe zu begreifen. Und die Oma? War sie nur abergläubi­g? Sie suchte doppelt Schutz: im sicheren Keller sowie im Gespräch mit Gott. Sie hat nach Antworten gesucht und selbstlos um Rat gefragt, während wir ein Stockwerk darüber uns vielleicht mit Kinderfern­sehen ablenkten. Die Reaktion der alten Frau erscheint mir immer noch übertriebe­n, doch schmunzeln würde ich darüber nicht mehr.

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