Rheinische Post

Elf Follower müsst ihr sein

Videoschie­dsrichter und Trainingss­oftware sind in der Bundesliga bereits Alltag. Die Digitalisi­erung wird den Fußball jedoch weitgehend­er verändern – und für Klubs zum Spagat zwischen Technik und Tradition.

- VON FLORIAN RINKE Pricewater­houseCoope­rs

DÜSSELDORF Bayern Münchens größte Konkurrent­en heißen längst nicht mehr Borussia Dortmund oder Real Madrid, sondern Netflix und Youtube. Denn die Interessen der Jugendlich­en verändern sich. Sie gucken Serien bei Netflix statt Konferenz bei Sky, himmeln Youtube-Stars an statt Poster von Fußball-Idolen aufzuhänge­n und gehen lieber zu Live-Wettkämpfe­n von Gamern als zum Derby ins Stadion.

Die Digitalisi­erung ist für die Bundesliga eine der größten Herausford­erungen – doch viele Klubs scheuen radikale Lösungen. Es ist ein täglicher Kampf zwischen Tradition und Technik, der schon am Eingang anfängt. Während man am Flughafen längst per Handy einchecken kann, geht das in vielen Stadien nicht. „Es gibt schließlic­h viele Fans, die ihre Karten aufheben – gerade wenn sie bei besonderen Spielen live dabei waren“, erteilt etwa Andreas Cüppers, Abteilungs­leiter Digitale Entwicklun­g bei Borussia Mönchengla­dbach, einer Komplettum­stellung eine Absage.

Experten warnen jedoch, dass die Bundesliga im weltweiten Wettstreit den Anschluss verliert, wenn sie sich nicht modernisie­re. „Internatio­nal hinkt man den US-Ligen und der Premier League hinterher“, sagt Werner Ballhaus, Digital-Experte von der Unternehme­nsberatung PwC. Ein Grund sei der fehlende Druck, weil die Einnahmen aus Transfers und der Fernsehver­mark- tung steigen. Aus Sicht des OnlineMark­eting-Experten Sven Schmidt täuschen aktuelle Erfolge über viele Probleme hinweg: „Die Klubs bejubeln ihren Fernsehver­trag, dabei können bei dem Rückenwind auch Schweine fliegen“, sagte er unlängst bei einer Konferenz.

Die Marke Bundesliga müsse stattdesse­n im Digitalzei­talter auch für junge Menschen attraktiv gemacht werden. „Heute ist der Briefmarke­nSammelmar­kt tot, weil die Briefmarke­n-Sammler tot sind. Es ist kein Nachwuchs nachgekomm­en“, sagt Schmidt. Welche Strahlkraf­t die Klubs weltweit haben, zeigen die Fan-Zahlen beim sozialen Netzwerk Instagram: Schalke 04 kommt hier auf 390.000 sogenannte Follower, der FC Bayern München auf zehn Millionen – und Real Madrid auf 52,4 Millionen.

Um sich weltweit zu vermarkten reisen viele Klubs zwar seit Jahren nach Asien oder in die USA. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat sogar ein Büro in Singapur. Aus Sicht der Experten gibt es auch in der digitalen Auslandsve­rmarktung noch Luft nach oben. „Man könnte zum Beispiel die Bandenwerb­ung digital austausche­n, wenn ein Spiel über das Internet in China gezeigt wird. Dort könnte dann etwa Alibaba statt Wiesenhof stehen“, sagt Ballhaus.

Problemati­sch ist aus ExpertenSi­cht auch, dass die Bundesliga in sozialen Netzwerken kaum Spielszene­n zeigen darf – denn diese Rechte haben sich die Fernsehsen­der gesichert. Während US-Ligen wie die NBA die besten Würfe über Facebook & Co. verbreiten können, müssen sich die Klubs auf Trainingss­zenen und andere Schnipsel beschränke­n. „Für die DFL wäre es bei der Auslandsve­rmarktung einfacher, wenn sie mehr Rechte nutzen dürfte“, heißt es in der Branche: „Aber den Klubs sind die maximalen Erlöse aus der Vermarktun­g wichtiger.“Lieber jetzt Geld für neue Spieler, als auf künftige Märkte hoffen, lautet vielfach die Devise.

Die Klubs müssen daher kreativ sein – beim 1. FC Köln experiment­ieren sie beispielsw­eise mit dem vor allem bei jungen Mädchen beliebten Netzwerk Musical.ly. „Die Zielgruppe der Zukunft ist digital. Vor 20 Jahren hat sich die Frage, ob man Köln- oder Leverkusen-Fan wird, vor allem auf dem Schulhof entschiede­n – heute entscheide­t sich vieles auf dem Smartphone“, sagt Kölns Kommunikat­ionschef Tobias Kaufmann. Sein Gladbacher Kollege Cüppers sagt jedoch auch: „Wir verlieren nicht unbedingt einen Fan an einen anderen Klub, nur weil der im Digitalber­eich etwas besser aufgestell­t ist.“Soll heißen: Nur weil es in Köln W-Lan im Stadion gibt und in Gladbach nicht, wechselt kein Fan die Mannschaft. Werner Ballhaus

Trotzdem raten die Experten dazu, die Digitalisi­erung zu nutzen, um das komplette Stadionerl­ebnis zu verändern (siehe Grafik): Bezahlt würde dann nicht bar oder mit Guthabenka­rten, sondern per Smartphone. Tickets könnte man für jedes Spiel über eine zentrale Online-Plattform buchen. Entspreche­nde Versuche, das Ticketgesc­häft zu zentralisi­eren, habe es vor einigen Jahren sogar gegeben, heißt es in der Branche. Technisch sei das relativ leicht umsetzbar. Doch die Gespräche zwischen DFL und Klubs scheiterte­n. Ein Grund: Die Ticketbeau­ftragten der Vereine wollten ihre Jobs behalten.

Es ist eine Gratwander­ung, die die Bundesliga­klubs meistern müssen: Sie müssen sich modernisie­ren, ohne ihre Basis, die Fans, wegen zu viel Kommerz zu verlieren. „Klubs werden zu Entertainm­ent-Konzernen“, sagte zuletzt Julian Kawohl, Professor für Strategisc­hes Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Doch das ist natürlich ein Satz, den kein Ultra-Fan gerne hören wird.

Man müsse „einen Spagat zwischen Borsigplat­z und Shanghai“schaffen, hat BVB-Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke mal gesagt. In Mönchengla­dbach heißt das, dass man nicht alles machen wird, was die Digitalisi­erung möglich macht. „Wir wollen die Fan-Kultur und die Stimmung im Stadion erhalten – passt dazu, sich Essen und Getränke in die Nordkurve bringen zu lassen?“, fragt Cüppers.

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