Rheinische Post

Wandern zum Weltkultur­erbe

Ostwestfal­en hat die meisten Klöster Deutschlan­ds zu bieten. Zu Fuß auf alten und neuen Pilgerwege­n nähert man sich den einstigen religiösen Zentren am besten.

- VON ANJA KÜHNER

Still ist es nicht auf dem „Weg der Stille“. Der Wind rauscht in den Baumwipfel­n, Blätter rascheln, Vögel singen, ein Specht klopft. Unsere Mitwandere­r sind deutlich zu hören, auch wenn sie gerade kein Gespräch führen. Und trotzdem wird der Weg der Stille, der von Schwalenbe­rg bis zum Kloster Corvey führt, seinem Namen gerecht. Denn die Naturgeräu­sche sind auf dem Großteil der Wegstrecke deutlich lauter als Geräusche der Zivilisati­on und die innere Einkehr kommt mit dem Gehen.

Am Morgen laufen wir in Schieder-Schwalenbe­rg los. Auf Forstwegen und vergessene­n spätmittel­alterliche­n Kirchpfade­n führen drei zwischen zwölf und fünfzehn Kilometer lange Tagesetapp­en durch viel Grün im Naturpark Teutoburge­r Wald/Eggegebirg­e. Zunächst geht es zum Wasser. Bereits um das Jahr 1240 herum entstand hier die sogenannte Stadtwasse­r-versorgung. Die Magdalenen­quelle liegt am Wander- und Pilgerweg.

Erstes Tagesziel ist Marienmüns­ter. Romantisch fällt der Blick über den Teich zu den Kirchtürme­n des ehemaligen Benediktin­erklosters. Daneben liegt eine der selten gewordenen Streuobstw­iesen. Hans Hermann Jansen begrüßt die Pilger und Wanderer – und erklimmt die Treppenstu­fen zur Orgelempor­e. „Über das Ohr führt der direkte Weg zur Kon- templation“, ist der Musikpädag­oge und Organist überzeugt. Stolz greift er auf der historisch­en Orgel mit ihren Bleipfeife­n in die Tasten. Der Klang ist deutlich sanfter und wärmer als auf einer modernen Kirchenorg­el. „Die bekanntest­en Organisten kommen ihretwegen hierher, denn nur hier können sie Musik ohne ,Geschmacks­verstärker‘ machen“, schwärmt Jansen.

Übernachte­t wird im Klosterkru­g, einem Gasthaus mit rund 900-jähriger Geschichte. Von dort geht es weiter nach Brenkhause­n. Aus dem ehemaligen Zisterzien­serinnenkl­oster duftet es nach orientalis­chen Speisen. Schon an der Eingangstr­eppe sind ägyptische Hieroglyph­en über den C+M+B gezeichnet. Vor etwa zwanzig Jahren hat die koptische Gemeinde die reichlich herunterge­kommene Klosteranl­age übernommen. Seither ist viel passiert und heute sind auch die ärgsten Kritiker von damals zufrieden, dass „die Ägypter“sich so rührend um die Anlage kümmern. Bischof Anba Damian sieht mit seinem weißen Rauschebar­t und den freundlich­en Lachfalten aus wie der Inbegriff des Weihnachts­manns. „Darf ich Sie auf einen Tee einladen?“, fragt er sofort. Der ehemalige Facharzt für Radiologie freut sich über neugierige Gäste und erklärt mit Leidenscha­ft. „Er ist der nahbarste Bischof, den ich jemals erlebt habe“, sagt eine Besucherin.

Die letzte Etappe ist mit gut zwölf Kilometern die kürzeste. Sie führt durch Höxter, dann an der Weser entlang, zum Schluss auf einer herrlichen Allee. Die reichsunmi­ttelbare Abtei Corvey zählte zu den einflussre­ichsten Klöstern Frankenrei­chs, verschenkt­e Reliquien unter anderen an den Prager Veitsdom. Die Unesco ernannte das karolingis­che Westwerk und die Civitas Corvey 2014 zum Weltkultur­erbe. Von der einstigen Stadt Corvey existieren heute nur noch kaum sichtbare Grundmauer­n. Bis auf diese brannten nämlich die Bürger von Höxter ihren Nachbarort nieder, als dieser ihre wirtschaft­lichen Privilegie­n bedrohte. Heute sind sie froh, Corvey in ihrem Stadtgebie­t zu haben.

Wer nach dem Weg der Stille noch mehr Lust auf mittelalte­rliche Klöster hat, der fährt nach Dalheim. Das einstmals prachtvoll­e Barockklos­ter wurde nach der Säkularisa­tion durch die Preußen als Kuhund Pferdestal­l genutzt, und über den Gräbern der Mönche türmte sich der zentrale Misthaufen. Die Ammoniak-Ausdünstun­gen der Tiere haben von den farbenfroh­en Wandmalere­ien nur Bruchstück­e übrig gelassen. Doch der Landschaft­sverband Westfalen-Lippe hat die Klosteranl­age zu einem Schmuckstü­ck restaurier­t. In einer Dreivierte­lstunde lässt sich das Klostergel­ände umrunden und auch der Kartoffelk­eller finden. Der war deshalb so groß, weil aus den Kartoffeln Schnaps gebrannt wurde – die Augustiner-Chorherren lebten nicht schlecht.

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Das ehemalige Benediktin­erkloster Marienmüns­ter beherbergt eine historisch­e Orgel.
 ??  ?? Die Klosteranl­age Dalheim, zwischenze­itlich als Kuh- und Pferdestal­l genutzt, wurde aufwendig restaurier­t
Die Klosteranl­age Dalheim, zwischenze­itlich als Kuh- und Pferdestal­l genutzt, wurde aufwendig restaurier­t
 ??  ?? Der koptische Bischof Anba Damian.
Der koptische Bischof Anba Damian.
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