Wandern zum Weltkulturerbe
Ostwestfalen hat die meisten Klöster Deutschlands zu bieten. Zu Fuß auf alten und neuen Pilgerwegen nähert man sich den einstigen religiösen Zentren am besten.
Still ist es nicht auf dem „Weg der Stille“. Der Wind rauscht in den Baumwipfeln, Blätter rascheln, Vögel singen, ein Specht klopft. Unsere Mitwanderer sind deutlich zu hören, auch wenn sie gerade kein Gespräch führen. Und trotzdem wird der Weg der Stille, der von Schwalenberg bis zum Kloster Corvey führt, seinem Namen gerecht. Denn die Naturgeräusche sind auf dem Großteil der Wegstrecke deutlich lauter als Geräusche der Zivilisation und die innere Einkehr kommt mit dem Gehen.
Am Morgen laufen wir in Schieder-Schwalenberg los. Auf Forstwegen und vergessenen spätmittelalterlichen Kirchpfaden führen drei zwischen zwölf und fünfzehn Kilometer lange Tagesetappen durch viel Grün im Naturpark Teutoburger Wald/Eggegebirge. Zunächst geht es zum Wasser. Bereits um das Jahr 1240 herum entstand hier die sogenannte Stadtwasser-versorgung. Die Magdalenenquelle liegt am Wander- und Pilgerweg.
Erstes Tagesziel ist Marienmünster. Romantisch fällt der Blick über den Teich zu den Kirchtürmen des ehemaligen Benediktinerklosters. Daneben liegt eine der selten gewordenen Streuobstwiesen. Hans Hermann Jansen begrüßt die Pilger und Wanderer – und erklimmt die Treppenstufen zur Orgelempore. „Über das Ohr führt der direkte Weg zur Kon- templation“, ist der Musikpädagoge und Organist überzeugt. Stolz greift er auf der historischen Orgel mit ihren Bleipfeifen in die Tasten. Der Klang ist deutlich sanfter und wärmer als auf einer modernen Kirchenorgel. „Die bekanntesten Organisten kommen ihretwegen hierher, denn nur hier können sie Musik ohne ,Geschmacksverstärker‘ machen“, schwärmt Jansen.
Übernachtet wird im Klosterkrug, einem Gasthaus mit rund 900-jähriger Geschichte. Von dort geht es weiter nach Brenkhausen. Aus dem ehemaligen Zisterzienserinnenkloster duftet es nach orientalischen Speisen. Schon an der Eingangstreppe sind ägyptische Hieroglyphen über den C+M+B gezeichnet. Vor etwa zwanzig Jahren hat die koptische Gemeinde die reichlich heruntergekommene Klosteranlage übernommen. Seither ist viel passiert und heute sind auch die ärgsten Kritiker von damals zufrieden, dass „die Ägypter“sich so rührend um die Anlage kümmern. Bischof Anba Damian sieht mit seinem weißen Rauschebart und den freundlichen Lachfalten aus wie der Inbegriff des Weihnachtsmanns. „Darf ich Sie auf einen Tee einladen?“, fragt er sofort. Der ehemalige Facharzt für Radiologie freut sich über neugierige Gäste und erklärt mit Leidenschaft. „Er ist der nahbarste Bischof, den ich jemals erlebt habe“, sagt eine Besucherin.
Die letzte Etappe ist mit gut zwölf Kilometern die kürzeste. Sie führt durch Höxter, dann an der Weser entlang, zum Schluss auf einer herrlichen Allee. Die reichsunmittelbare Abtei Corvey zählte zu den einflussreichsten Klöstern Frankenreichs, verschenkte Reliquien unter anderen an den Prager Veitsdom. Die Unesco ernannte das karolingische Westwerk und die Civitas Corvey 2014 zum Weltkulturerbe. Von der einstigen Stadt Corvey existieren heute nur noch kaum sichtbare Grundmauern. Bis auf diese brannten nämlich die Bürger von Höxter ihren Nachbarort nieder, als dieser ihre wirtschaftlichen Privilegien bedrohte. Heute sind sie froh, Corvey in ihrem Stadtgebiet zu haben.
Wer nach dem Weg der Stille noch mehr Lust auf mittelalterliche Klöster hat, der fährt nach Dalheim. Das einstmals prachtvolle Barockkloster wurde nach der Säkularisation durch die Preußen als Kuhund Pferdestall genutzt, und über den Gräbern der Mönche türmte sich der zentrale Misthaufen. Die Ammoniak-Ausdünstungen der Tiere haben von den farbenfrohen Wandmalereien nur Bruchstücke übrig gelassen. Doch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat die Klosteranlage zu einem Schmuckstück restauriert. In einer Dreiviertelstunde lässt sich das Klostergelände umrunden und auch der Kartoffelkeller finden. Der war deshalb so groß, weil aus den Kartoffeln Schnaps gebrannt wurde – die Augustiner-Chorherren lebten nicht schlecht.