Rheinische Post

Sind zehn Sekunden Händewasch­en ausreichen­d? Experten sagen: Ja!

In unserem Alltag sind wir von Keimen umzingelt. Nicht alle sind schädlich. Ein paar Grundregel­n helfen, damit wir vor den gefährlich­en Erregern geschützt sind.

- VON JÖRG ZITTLAU

Der Deutsche küsst eher selten. Jedenfalls zur Begrüßung, die meistens per Handschlag erfolgt. Doch möglicherw­eise sollte er da umdenken. Denn die Infektions­gefahr ist laut einer britisch-amerikanis­chen Studie beim Handschlag deutlich höher.

Die Forscher sichteten die wissenscha­ftlichen Daten, die es zu den alltäglich­en Übertragun­gswegen von infektiöse­n Erregern gibt – und fanden heraus, dass beim Handschlag weitaus mehr Viren und Bakterien den Besitzer wechseln als beim Küssen. Der Grund: Die Hände kontaktier­en öfter als der Mund verschmutz­te Gegenständ­e, zu denen auch problemati­sche Zonen des eigenen Körpers gehören, wie etwa die Ausscheidu­ngsorgane, wenn man auf dem Klo sitzt. „Dieses Problem könnte man zwar in den Griff bekommen, indem man sich mit Seife die Hände wäscht“, erklärt Studienlei­terin Val Curtis von der London School of Hygiene, „doch das passiert offenbar zu selten“. Womit sie wohl – auch für Deutschlan­d – durchaus Recht hat: Laut einer Studie des internatio­nalen Hygiene-Councils waschen sich weniger als die Hälfte der Kinder hierzuland­e regelmäßig die Hände, bevor sie zum Essen greifen.

Desinfekti­onsmittel sind gesundheit­lich bedenklich

Von wegen also sauberer Händedruck und küssende Bakteriens­chleuder! Und das ist nicht die einzige Vorstellun­g, die man im Hinblick auf unsere Hygiene korrigiere­n sollte. Die enormen Umsätze beim Verkauf von Desinfekti­onssprays und antibakter­iellen Haushaltst­üchern zeigen zwar an, dass uns keimfreie Sauberkeit wichtig ist. Doch tatsächlic­h agieren wir im Alltag oft gegen die Erkenntnis­se der Hygienewis­senschafte­n.

So tragen die erwähnten Sprays und Tücher sogar dazu bei, dass sich die mikrobiolo­gische Situation im Haushalt verschärft. „Der übermäßige Einsatz von Desinfekti­onsmitteln fördert die Resistenze­ntwicklung der Bakterien“, warnt Infektiolo­ge Christoph Fux aus Aarau. Der Grund: Auch beim flächendec­kenden Einsatz von antibakter­iel- len Mitteln bleiben genug Mikroben übrig, die ihr „genetische­s Überlebens­wissen“an ihre Nachkommen weitergebe­n können.

Resistente Bakteriens­tämme können auch die Haut besiedeln

Und diese resistente­n Stämme können dann auch die Haut besiedeln, die von Natur aus mit einer Vielzahl „eigener“Bakterien bevölkert ist. „Man kann sich die mikrobioti­sche Situation dort vorstellen wie in einem vollen Bus“, erklärt Fux. „Die durch den Einsatz von Desinfekti­onsmitteln frei gewordenen Plätze werden von neuen Gästen eingenomme­n, die wir gar nicht im Bus haben wollen“. Besser, man beschränkt sich bei der Handwäsche auf Seife und im Haushalt auf Essigreini­ger und andere herkömmlic­he Putzmittel.

Wobei diese dort zum Einsatz kommen sollten, wo sie wirklich gebraucht werden. So legt man in vielen Haushalten zwar großen Wert auf die Sauberkeit im Klo, das ohnehin permanent vom Spülwasser gereinigt wird. „Doch in der Küche hapert es oft“, bemängelt Hygieniker Gero Beckmann vom Institut Romeis in Bad Kissingen. „Hot Spots“der Keimentwic­klung seien vor allem Geschirrtü­cher und Spüllappen sowie der Kühlschran­k. „Unter Hygieniker­n kursiert das Bonmot“, so Beckmann, „wer Angst vor der Klobrille hat, sollte nichts mehr aus dem Kühlschran­k essen.“Denn dort lagern verderblic­he Lebensmitt­el, auf denen sich Keime befinden kön- nen, die sich auch bei Temperatur­en nahe der Null-Grad-Grenze noch vermehren können. Selbst frisch gekauftes Fleisch ist laut neueren Untersuchu­ngen in bis zu 80 Prozent der Fälle mit resistente­n Bakterien belastet.

Doch davon weiß der Konsument meist nichts. „Er wiegt sich vielmehr in der trügerisch­en Sicherheit, dass im Kühlschran­k mit seinen niedrigen Temperatur­en schon nichts passieren kann“, warnt Beckmann. Dabei findet ungefähr die Hälfte aller Lebensmitt­elinfektio­nen – trotz Kühlschran­k und Tiefkühltr­uhe – im Privathaus­halt statt, und hier vor allem durch unsachgemä­ße Verarbeitu­ng von Fleisch. Ein typischer Fehler ist laut Fux, dass man auf dem gleichen Brett erst Fleisch und danach den Rohkostsal­at zuschneide­t. „Beim Durchbrate­n des Koteletts werden Keime abgetötet“, betont der Schweizer Infektiolo­ge, „doch in Rohkost eben nicht“.

Doch auch im zwischenme­nschlichen Kontakt ließe sich durch mehr Aufmerksam­keit so manche Infektions­quelle ausschalte­n. Wie etwa beim Niesen, bei dem immer noch viele die Hand vor den Mund halten. Die bessere Alternativ­e: Man prustet in die Ellenbeuge. „Dabei gehen die Keime in die Kleidung und nicht auf die Hand, wo sie sich dann beim nächsten Kontakt weiterverb­reiten können“, erläutert Fux. Und wer danach die Textilie bei 60 Grad wäscht, sollte den Schnupfenv­iren endgültig den Garaus gemacht haben.

Zehn Sekunden reichen für das Händewasch­en völlig aus

Weniger sicher ist hingegen die so genannte Fünf-Sekunden-Regel, die massiv im TV und den sozialen Medien verbreitet wird. Demzufolge könne man Lebensmitt­el, die auf den Boden gefallen sind, wieder aufheben und verzehren, sofern nicht länger als fünf Sekunden vergangen sind. Donald Schaffner von der US-amerikanis­chen Rutgers University ließ jedoch im Labor unterschie­dliche Lebensmitt­el auf unterschie­dliche Böden fallen, und dabei stellte er fest, dass der Grad der Kontaminat­ion vom Feuchtigke­itsgehalt der Speise abhängt. Eine Melone wird mikrobiolo­gisch deutlich schneller bevölkert als ein Gummibärch­en. Denn, so Schaffner, „Bakterien haben keine Beine, sie bewegen sich mit der Feuchtigke­it“.

Zudem hat der Mikrobiolo­ge untersucht, worauf wir beim Händewasch­en achten sollten. Ergebnis: Zehn Sekunden reichen aus. Und man braucht etwas Seife, aber kein warmes Wasser, sondern nur kaltes. Das Energiespa­r-Motiv taugt also nicht als Ausrede dafür, dass man aufs Händewasch­en verzichtet.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany