Heiner Geißler, der große politische Streiter und Schlichter, ist 87-jährig gestorben.
Die Auseinandersetzung suchen und Gegensätze versöhnen – Heiner Geißler konnte beides. Im Alter von 87 Jahren ist der Ausnahmepolitiker gestorben.
Eine Lebensweisheit wird oft und in vielen Variationen zitiert: Wer in der Jugend nicht links ist, hat kein Herz, und wer es im Alter immer noch ist, hat keinen Verstand. Bei Heiner Geißler war das umgekehrt, und auch das machte ihn zu einem Ausnahmepolitiker. Seinen scharfen Verstand und seine ebenso scharfe Zunge setzte er unermüdlich für seine Ideen und gegen politische Gegner ein. Sein Herz kam insbesondere in seiner sozialund gesellschaftspolitischen Agenda zum Vorschein. Er war gläubiger Katholik und früherer JesuitenSchüler. Die Werte, die ihm die Jesuiten vermittelt hätten, habe er in die Politik mitgenommen: Politik sei Berufung, befand Geißler, der Beruf des Politikers vergleichbar dem des Priesters.
Heiner Geißler, der gestern im Alter von 87 Jahren verstorben ist, galt in der frühen Ära Kohl als politischer Scharfmacher und Kommunistenfresser. Am Ende seines Lebens war Geißler Mitglied der globalisierungskritischen Gruppierung Attac und beklagte die ungleiche Verteilung von Reichtum auf dem Globus. Mit ihm geht ein intel- lektuelles Schwergewicht, das die bundespolitische Debatte über Jahrzehnte bereichert, belebt und oft polarisiert hat.
Den Höhepunkt seines politischen Wirkens erlebte der Jurist Geißler in der ersten Hälfte der 80er Jahre. Bereits 1977 machte der noch junge CDU-Chef Helmut Kohl seinen damaligen Vertrauten zum Generalsekretär. Die beiden kannten sich aus ihrer gemeinsamen Regierungszeit in Rheinland-Pfalz, wo Kohl und Geißler im Gespann als Ministerpräsident und Sozialminister agierten. Als Kohl selbst noch zu den jungen Wilden seiner Partei zählte, schätzte er insbesondere Geißlers innovative Kraft.
1982 erhielt Geißler, dessen Konzepte in der katholischen Soziallehre ihre Grundlage hatten, zusätzlich zu seinem Job als Generalsekretär den Posten des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. In dieser Zeit leitete er für die CDU eine neue Frauen- und Familienpolitik ein, die Rita Süssmuth und später Ursula von der Leyen vollendeten. So führte er unter anderem ein Erziehungsgeld ein.
Während er seine Partei gesellschaftspolitisch öffnete, gab er in der Auseinandersetzung um den Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung der Pershing-II-Raketen in Europa den Hardliner. In die Geschichtsbücher ist sein Auftritt im Juni 1983 im Bundestag eingegangen. Die Stimmung damals war aufgeheizt. Hunderttausende demonstrierten gegen die Rüstungspolitik der Bundesregierung. Gegen die Anwürfe von Oppositionspolitikern wie Joschka Fischer und Otto Schily erklärte Geißler: „Der Pazifismus der 30er Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.“Daraufhin kam es im Bundestag zu tumultartigen Szenen. Der SPD-Abgeordnete Ernst Waltemathe, dessen pazifistische Verwandte in Auschwitz umkamen, fragte Geißler, ob die Opfer seiner Meinung nach an ihrer Vernichtung selbst schuld gewesen sei- en. Mit Tränen in den Augen wollte auch die FDP-Abgeordnete Hildegard Hamm-Brücher wissen, was der Pazifismus mit dem Judenhass der Nazis zu tun gehabt habe.
Für nichts stand Geißler so in der Kritik wie für dieses Zitat, das er nie zurücknahm. Auch dafür musste er sich vom früheren Kanzler Willy Brandt (SPD) zwei Jahre später sagen lassen, er sei „seit Goebbels der schlimmste Hetzer im Land“. So prägte Geißler mit seinen scharfen Attacken auch einen Politikstil, den sich Jugendliche heute, die nur Angela Merkel als Kanzlerin kennen, staunend in historischen Videos ansehen. Die Sozialdemokraten hatten immer gute Gründe, ebenso gegen Geißler auszuteilen, hatte er sie doch ebenfalls im Streit um die Mittelstreckenwaffen als „fünfte Kolonne Moskaus“bezeichnet.
Die hitzigen Auseinandersetzungen mit Sozialdemokraten und Grünen dürfen aber nicht den Blick darauf verstellen, dass Geißler auch in seinen frühen Jahren stets zum linken Flügel der Christdemokraten zählte. Es war sein Drängen auf Reformen, das Ende der 80er Jahre zum Bruch mit Helmut Kohl führte. Geißler war Kohl intellektuell überlegen, machtpolitisch war er es nicht. So blieb Kohl Kanzler, und Geißler verlor mit seinem von Kohl betriebenen Abgang als Generalsekretär seinen Einfluss in der CDU.
Still wurde es dennoch nicht um dieses „Political Animal“mit dem asketischen Aussehen, das Bergsteigen und Gleitschirmfliegen liebte. Als Talk-Gast, Autor sowie als Schlichter in Tarifkonflikten und im Streit um das Bahnhofsgroßprojekt Stuttgart 21 blieb Heiner Geißler ein gefragter Mann.
Überraschend war sein Eintritt bei Attac. Die jüngere Generation feierte ihn gar als „Meister Yoda“– eine weise und kraftvolle Figur aus der „Star Wars“-Saga. Je älter er wurde, desto mehr fiel er mit politisch linken Positionen auf. Angela Merkels Flüchtlingspolitik verteidigte er entschieden. Er sprach sich auch für eine Korrektur der Arbeitsmarktreformen der Regierung Gerhard Schröders aus, die sonst nur von Teilen der SPD, Grünen und Linken gefordert wird. Geißler selbst meinte indes nicht, dass sich seine Überzeugungen im Lauf seines Lebens wesentlich geändert hätten. Im März 2017 erklärte er in einer Fernsehsendung: „Es gibt auf der Erde Geld wie Dreck. Es haben nur die falschen Leute.“
Geißler leitete die neue CDU-Familienpolitik ein, die Süssmuth und von der Leyen vollendeten