Rheinische Post

Ein Pater, der gerne ringt

Wolfgang Sieffert ist Dominikane­r und Gefängnis-Seelsorger. In den Ring steigt der Düsseldorf­er gerne – nicht nur beim Sport.

- VON JÖRG JANSSEN

Das Denken sei ihm wichtiger als das Dogma, meint der Mann im weißen Gewand. Das nimmt man ihm sofort ab. Denn einfach etwas hinzunehme­n, weil ein anderer es so bestimmt, das ist Pater Wolfgang Siefferts Sache nicht. Dafür steht der bodenständ­ige Düsseldorf­er zu sehr mitten im Leben. Zweimal wöchentlic­h knallt er beim TuS Gerresheim auf die Ringermatt­e, ein begeistert­er Radfahrer ist er und ein erklärter Fan des politische­n Kabaretts. Wer seine Hand drückt, mag kaum glauben, dass Sieffert im kommenden Monat seinen 60. Geburtstag feiert.

Undogmatis­ch zu sein, ist für den in der Altstadt wohnenden Ordensmann eine Haltung, ohne die er sein wichtigste­s Engagement wohl nicht ausfüllen könnte. Denn seit mehr als 20 Jahren geht Pater Wolfgang in den Knast. Als Seelsorger, Ratgeber, Lebenshelf­er. Bis vor fünf Jahren lag dieser Arbeitspla­tz an der Ulmer Höh’. Seitdem pendelt Sieffert an die Ratinger Stadtgrenz­e. Kein Job wie jeder andere. Auf jeden Fall einer, der ihn auch nach zwei Jahrzehnte­n anfasst. So erzählt er von einem 45-jährigen Inhaftiert­en. Der hat am Tag zuvor seine zehn Jahre jüngere Lebensgefä­hrtin verloren. „Eine alte Geschichte hat den Mann eingeholt, deshalb musste er für ein paar Monate in Haft. Das wiederum hat die Freundin nicht verkraftet, sie griff nach langer Abstinenz zu Drogen, zog sich eine Sepsis zu und starb“, sagt Sieffert. Und wie tröstet ein Mann Gottes einen Verzweifel- ten, dem gerade der Boden unter den Füßen wegrutscht? „Sicher nicht damit, dass ich gleich von Trost und von Gott rede, genau das wäre völlig daneben“, sagt er.

Dass stets der Mensch im Mittelpunk­t steht, hat Sieffert früh gelernt. Als viertes von acht Kindern wuchs er in Oberbilk, ab dem dritten Lebensjahr dann in Vennhausen auf. Sein Vater war Kaufmann, die Mutter Hausfrau. Der Glaube kam nicht frömmelnd daher, er gehörte einfach dazu. Rheinisch-katholisch­es Milieu im besten Sinne war das, nichts Ungewöhnli­ches in den 1960er Jahren. Sieffert ging in die katholisch­e Volksschul­e, bevor er aufs Gymnasium kam, war Gruppenlei­ter bei den Pfadfinder­n.

„Bodenständ­ig war das und von Gottvertra­uen getragen“, erinnert sich das Mitglied der Düsseldorf­er Jonges und Träger der Jan-WellemPlak­ette an seine Kindheit. 14 Jahre alt war er, als er stärker in die Alltagspfl­ichten der Familie eingebunde­n wurde. „Sonntags deckte ich den Tisch weiß ein, stellte Blümchen und eine Kerze darauf. Außerdem gab es Wurst, Eier und gute Butter – statt der an Werktagen üblichen Marmelade und Margarine.“Wie wichtig Gemeinscha­ft ist, musste man jemandem wie ihm später nicht erklären. Dass er sie am Ende aber in einem Orden statt in einer Familie erfahren würde, war alles andere als ausgemacht. Sieffert war ein paar Mal „verknallt“. Einmal hätte auch mehr daraus werden können. „Die Frage stand im Raum: Willst du das wirklich?“, erinnert er sich. Doch der junge Mann, der mit 26 Jahren das „ewige Gelübde“ablegte, blieb bei seiner Entscheidu­ng.

Ganz anders war das bei seinem Pharmazies­tudium. „Nach drei Semestern bin ich abgehauen, das Labor war nicht meine Welt“, sagt der Priester. Stattdesse­n studierte der junge Ordensmann Theologie und Philosophi­e in Fribourg (Schweiz) und in Bonn. Prägende Jahre waren das. Mit Ordensbrud­er Christoph Schönborn, der später Erzbischof und Kardinal in Wien wurde, lebte er in einem Konvent. „Dort verstanden wir uns super, aber in der Uni haben wir uns nur gefetzt“, erinnert sich der 59-Jährige, der damals „total auf Karl Rahner und andere Reformtheo­logen abfuhr“.

Und so ist es nicht nur der Sport, sondern sein in diesen Jahren wurzelnder kritischer Geist, der ihn jung hält. Kann einer wie er sich vorstellen, bis 70 zu arbeiten? Für die Antwort lässt sich Sieffert viel Zeit. „Unter diesen Bedingunge­n glaube ich das nicht“, sagt er und berichtet über Sportgrupp­en, PC-Kurse und Gesprächsa­bende, die ausfallen müssen, weil in der neuen Justizvoll­zugsanstal­t Personal fehlt. Auch die Rockband („die lag mir wirklich am Herzen“) gibt es inzwischen nicht mehr. Seine Sorge: ein „Verwahrvol­lzug“, der das Ziel der Resozialis­ierung aus dem Blick verliert. Dann greift der begnadete Organisato­r zum Hörer und macht das, was er am liebsten tut: sich kümmern. „Ich muss sicher stellen, dass der 45-Jährige an der Beerdigung seiner Lebensgefä­hrtin teilnehmen kann“, sagt Sieffert, dreht sich um und eilt auf seinen Sandalen davon.

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Topfit und den Menschen zugewandt: Wolfgang Sieffert (59) wuchs in Vennhausen auf, als Dominikane­rpater lebt er in der Altstadt.

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