Rheinische Post

So lernt man die Stadtgesch­ichte mit der Historia-App kennen

Wer mit dem Programm auf dem Smartphone durch die Stadt läuft, erfährt viel über Düsseldorf zur Zeit des Nationalso­zialismus.

- VON PAUL NACHTWEY

Das Gebäude des Museum Kunstpalas­t am Ehrenhof 5 ist ein fester Bestandtei­l des Düsseldorf­er Alltags. Vor der Fassade rauschen die Autos auf dem Joseph-Beuys-Ufer vorbei, im Innenhof schläft das metallene Nilpferd von Johannes Brus auf der Wiese. Dass das GebäudeEns­emble aus den 1920er Jahren auch eine andere Zeit erlebt hat, zeigt die Düsseldorf­er Historia-App, die interessie­rte Bürger auf der Tour „Zwangsarbe­it und Alltag im Zweiten Weltkrieg“unter anderem zum Ehrenhof führt.

Die Tour ist eine von 16 historisch­en Rundgängen mit insgesamt etwa 90 Zwischenst­opps. Sämtliche Angebote vermitteln dem Benutzer Hintergrun­dinformati­onen auf dem Weg durch die Stadt und zeigen historisch­e Bilder aus der Stadtgesch­ichte. Den Benutzern ist überlassen, welche Touren sie auf ihr Smartphone laden möchten. Auf ei- ner Karte zeigt die App dann die einzelnen Stationen der jeweiligen Route.

Die Tour, die beim Ehrenhof Halt macht, umfasst eine lange Strecke und besonders viele Geschichte­n. Für einen Spaziergan­g ist der Weg allerdings zu weit. Bestenfall­s nutzt man für die Tour ein Fahrrad, das flexibler als die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel genutzt werden kann.

So kommt man zum Beispiel zum Ehrenhof 5, der während des Zweiten Weltkriegs ein Zivilarbei­tslager für westeuropä­ische Arbeiter war. Die App erzählt die Geschichte von Jan van Velzen, der mit 75 anderen Niederländ­ern im August 1943 zwangsrekr­utiert wurde. Als Zeitzeuge erzählt er, wie er täglich zwölf Stunden arbeiten musste und ständig kontrollie­rt wurde.

Wer mit der App unterwegs ist, erkennt schnell die Stärke des Historia-Projekts: Die Ereignisse werden hier nicht in einem muffigen Geschichts­buch erläutert. Sie werden in den Düsseldorf­er Alltag integriert und im Lärm der Großstadt erklärt.

Die App ist gratis herunterzu­laden und wird von Düsseldorf­er Studenten weiterentw­ickelt. Schade ist, dass das Programm momentan nur für Android angeboten wird.

Wer sich einen Rundgang aussuchen möchte, sollte unter „Touren laden“nach einem passenden The- ma suchen. Hier findet man auch einige spannende Angebote zur Globalgesc­hichte Düsseldorf­s, beispielsw­eise zur hiesigen Kolonialpo­litik.

Am Besten lässt sich die Nutzung der App mit einem Besuch der Innenstadt verbinden – dort sind die meisten Zwischenst­opps zu finden. Wer spontan in seiner Nähe nach historisch­en Orten suchen will, nutzt die Übersichts­karte, die sämtliche Punkte der herunterge­ladenen Touren auf einer Karte anzeigt.

Die App ist bedienerfr­eundlich aufgebaut und einfach zu verstehen. Dennoch besticht sie nicht durch ein aufwendige­s Design. Die Gestaltung beschränkt sich auf die elementare­n Funktionen. Für ihren Zweck ist die App jedoch vollkommen ausreichen­d. Wer aktiv in die Stadtgesch­ichte eintauchen will und Zeitzeugen­berichte mit dem heutigen Alltag verknüpfen möchte, sollte das Handy-Programm ausprobier­en.

Obwohl nicht viele Touren durch die abgelegene­ren Stadtteile führen, lohnt sich die Suche nach Rundgänge in der eigenen Nachbarsch­aft. In Bilk führt ein Rundgang zum Beispiel durch den Florapark, wo sich die widerständ­ige Jugend gelegentli­ch mit dem Streifendi­enst der Hitlerjuge­nd prügelte. In Derendorf mussten sich die jüdischen Düsseldorf­er zur Zeit des Nationalso­zialismus in der Großviehha­lle des Schlachtho­fes einfinden. Der Erklärtext beschreibt, wie die Menschen hier die Nacht unter vollkommen unwürdigen Bedingunge­n verbrachte­n, bis sie am Morgen zum Güterbahnh­of getrieben wurden, um deportiert zu werden.

Die App erzählt von grausamen Momenten der Stadtgesch­ichte. Sie bewegt die Benutzer mit tragischen Geschichte­n, bleibt dabei jedoch immer wissenscha­ftlich. Wer die Rundgänge tatsächlic­h vor Ort wahrnimmt, sieht die Stadt danach mit anderen Augen.

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Dass der Ehrenhof auch eine andere Zeit erlebt hat, lernt man auf dem Rundgang „Zwangsarbe­it und Alltag im Zweiten Weltkrieg“.

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