Laschet will NRW umbauen
In seiner Regierungserklärung kündigt der neue Ministerpräsident große Umbrüche für das Land an. Auf die globalen Herausforderungen müsse die Politik mit mehr Realismus antworten.
DÜSSELDORF NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) plädiert für mehr Realitätssinn in der Landespolitik. In seiner Regierungserklärung kritisierte er am Beispiel der Diesel- und Braunkohledebatte „die immer weiter verbreitete Lust am Ausstieg“, der keine durchdachten Alternativen gegenüberstünden. Nicht Aktionismus, sondern eine Politik von „Maß und Mitte“müsse die Antwort auf die großen Herausforderungen der Gegenwart sein.
Der neue Regierungschef sieht große Veränderungen auf das Land zukommen. Laschet nannte das Aus für die letzten Steinkohlezechen im kommenden Jahr und den Ausstieg der wirtschaftlich eng mit NRW verwobenen Briten aus der EU im Jahr 2019 als Beispiele für solche Umbrüche. Hinzu komme aber ein „politisches und gesellschaftliches Umfeld, das durch schnellen Wandel, große Unsicherheiten und internationale Konflikte geprägt ist“, so Laschet. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Migrationsströme in die Städte und Gemeinden des Landes sei die deutsche Außenpolitik nicht mehr nur als Teil der Innenpolitik, sondern auch der Kommunalpolitik zu begreifen.
Die Digitalisierung löse Ängste um Arbeitsplätze aus, sie zu verschlafen gefährde gleichwohl den Wohlstand, warnte Laschet. Die Globalisierung schreite voran, löse aber zugleich zunehmende Skepsis aus. Hinzu kämen die internationalen Konflikte an den Rändern der EU und jenseits des Mittelmeers. „In solch bewegten Zeiten ist die Politik aufgefordert, den Menschen Orientierung anzubieten und entschlossen zu handeln“, so Laschet.
Das richtige Maß gehe aber verloren, wenn Ideologie und Verklärung die Vernunft verdrängten. „Man kann auch in Traditionen versteinern“, warnte Laschet, „berauscht durch Herzkammer-Rhetorik beginnt man dann, aus einem Land ein Museum zu machen“. NRW habe wichtige Weichenstellungen verpasst und laufe nun „atemlos den Veränderungen hinterher, die man zu spät erkannt hat“, kritisierte Laschet die sozialdemokratischen Vorgängerregierungen, ohne sie ausdrücklich zu nennen.
Für den Umgang mit den Unwägbarkeiten der Gegenwart kündigte der Ministerpräsident zwei Maximen an: „Wir wollen die Menschen in unserem Land zusammenführen, und wir wollen unser Land wieder nach vorne bringen.“Laschet stellte sich damit in die Tradition von Karl Arnold (CDU), der von 1947 bis 1956 Ministerpräsident war und Nordrhein-Westfalen als das soziale Gewissen der Republik sah. Im zweiten Teil seiner Rede erläuterte Laschet den Koalitionsvertrag der neuen schwarz-gelben Regierung. Unter anderem mit mehr Polizei werde die Landesregierung die innere Sicherheit in NRW stärken, zugleich die Wirtschaft mit dem Abbau rot-grüner Vorschriften wie der Hygiene-Ampel „entfesseln“, konsequent gegen den Unterrichtsausfall an den Schulen vorgehen und den Hochschulen wieder mehr Freiräume geben. Er versprach die Rückkehr zum bürgerlichen Aufstiegsversprechen: „Wer hart arbeitet und sich weiterbildet, muss die Chance haben, seine Lebenswirklichkeit damit zu verbessern.“
Laschet sei „mit großem, fulminantem Anspruch gestartet und hat sich dann schnell in das Klein-Klein des Koalitionsvertrags verirrt“, kritisierte SPD-Fraktionschef Norbert Römer die Regierungserklärung. Sie sei „eine Übersetzung des Koalitionsvertrags in Regierungsprosa“gewesen. Grünen-Fraktionschef Arndt Klocke nannte Laschets Rede „ambitionslos, uninspiriert und rückwärtsgewandt“.
Eine neue Vision für Nordrhein-Westfalen hatte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) in seiner Regierungserklärung nicht anzubieten. Das wäre auch zu viel verlangt: Ein neuer Regierungschef kann das Land wenige Wochen nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrags ja nicht mit einer völlig neuen Perspektive auf die Regierungsgeschäfte überrollen. Antrittserklärungen neuer Regierungen sind immer nur die Inszenierung eines Koalitionsvertrags mit anderen Mitteln.
Die Inszenierung als solche ist Laschet gelungen: Sein Vortrag längst bekannter Regierungsvorhaben war ansprechend, plausibel und auch schlagfertig, als er die Zwischenrufe der Opposition konterte. Der neue Ministerpräsident strahlte eine so routinierte Souveränität aus, als würde er das Land schon seit Jahren regieren. Ein wohltuender Kontrast zu den späten Auftritten seiner Amtsvorgängerin Hannelore Kraft (SPD), die – obwohl ebenfalls stark gestartet – in den letzten Monaten ihrer Amtszeit zunehmend gereizt wirkte.
Überraschend war die Vehemenz, mit der Laschet eine Politik von „Maß und Mitte“ankündigte. Dieser defensive Tenor ist neu. Und ein ganz anderer als der, den Laschet noch im Wahlkampf angestimmt hatte. Bis vor wenigen Monaten war beständig davon die Rede, dass NRW wieder Nummer eins werden müsse: zurück auf die Spitzenplätze beim Wachstum, bei der Bildung und bei der inneren Sicherheit. Als neue Regierungsmaxime rief Laschet gestern aber lediglich aus: „Wir wollen unser Land wieder nach vorne bringen.“Ein wichtiger Unterschied: Das Erreichen von Spitzenplätzen ist messbar. Ob das Land „wieder vorne ist“oder nicht, lässt Raum für Interpretation.
Auch an anderer Stelle blitzte Laschets gebremster Ehrgeiz auf: „Wenn wir im Jahr 2030 zurückschauen, dann hoffe ich, wir können sagen: wir haben (...) die richtigen Entscheidungen getroffen“, begann sein Schlusswort. Die nächste Landtagswahl ist aber 2022. Dann und nicht acht Jahre später muss Laschet sich der Überprüfung seiner Spitzenplatz-Wahlversprechen stellen.
Verdächtig knapp fielen seine Ausführungen zum Haushalt aus. Bis ins Wahlprogramm hinein war die Position des früheren Oppositionsführers stets, dass Steuermehreinnahmen in die Tilgung von Schulden fließen sollten. Als Regierungschef kann er sich jetzt sogar über Rekord-Steuereinnahmen freuen, allen Prognosen zufolge auch in den kommenden Jahren. Statt der Tilgung von Altschulden verspricht Laschet in seiner Regierungserklärung aber nur allgemein den Abbau der Neuverschuldung. Auch hier bleibt er hinter seinen früheren Ambitionen zurück.