Rheinische Post

„Ein Feuerball rauschte über meinen Kopf“

Schon wieder Terror in Großbritan­nien: In einem Londoner U-Bahn-Zug explodiert eine Bombe. Nur durch Glück gibt es keine Toten.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Es passiert auf dem Höhepunkt der Rushhour im Südwesten Londons. Kurz nach acht Uhr gestern Morgen fährt ein U-Bahnzug der „District“-Linie im Bahnhof Parsons Green ein. Der Zug ist voll, die Fahrgäste können sich kaum rühren. Plötzlich, so der Pendler Sylvain Pennec, „gab es einen lauten Knall, und ich sah überall Flammen“. Die Explosion selbst verletzt niemanden, aber sie schickt eine Flammenwan­d durch den Waggon.

Passagier Peter Crowley steht in der Nähe der anscheinen­d selbstgeba­uten Bombe. „Ich hörte einen lauten Donnerschl­ag“, berichtet er, „er kam von den gegenüberl­iegenden Türen. Dann rauschte dieser Feuerball über meinen Kopf.“Crowley kommt mit versengten Schläfen und verbrannte­n Haaren davon. Andere Passagiere erleiden schlimmere Verbrennun­gen, oft im Gesicht. Tote gibt es nicht.

Schon wieder eine Terrortat im Königreich. Es ist der fünfte Anschlag in diesem Jahr – 2017 gab es bereits 36 Tote zu beklagen. Und eine Bombe in der Londoner UBahn weckt besonders schlimme Assoziatio­nen. Im Juli 2005 ermordeten vier Rucksackbo­mber 52 Menschen. Damals fand das Grauen unterirdis­ch statt. Zum Glück liegt die Station Parsons Green ebenerdig. Das machte die Evakuierun­g des U-Bahn-Zugs leichter. Doch bricht unter den Passagiere­n Panik aus. Sie strömen aus dem Zug und hetzen in Richtung der Treppen. Manche fallen und werden überrannt.

Der Notruf bei der Polizei geht um 8.20 Uhr ein. Binnen weniger Minuten sind die ersten Einsatzkrä­fte am Ort. London hat gelernt, schnell zu reagieren. Bald wimmelt es um die Station Parsons Green von Feuerwehrl­euten, Ambulanzen, bewaffnete­n Spezialkrä­ften und Anti-Ter- ror-Einheiten. Der Bereich rund um die Station wird mit blau-weißem Flatterban­d abgesperrt. Über den Köpfen der Menschen knattern Hubschraub­er, die das Geschehen für die Nachrichte­nsender filmen.

Ins Zentrum der Aufmerksam­keit rückt schnell ein weißer Eimer in einer Supermarkt­tüte, der im Innern des Waggons nahe den Türen steht. Passagiere hatten Fotos des noch brennenden Eimers, aus dem Drähte zu ragen scheinen, ins Internet gestellt. Der früher für die Terrorabwe­hr verantwort­liche Generalmaj­or Chip Chapman hält den Sprengkörp­er für eine selbst gebaute Dampfdruck­topf-Bombe, die anscheinen­d nicht vollständi­g explodiert­e, und vermutet „einen islamistis­ch-dschihadis­tischen Hintergrun­d“. Mark Rowley, bei Scotland Yard für die Terrorabwe­hr zuständig, bestätigt später, dass es sich um „eine improvisie­rte Sprengvorr­ichtung“handelt. Sie soll, meldet der Nachrich- tensender Sky News, mit einem Zeitzünder versehen worden sein.

Das würde bedeuten, dass es sich nicht um ein versuchtes Selbstmord­attentat handelt. Stattdesse­n dürfte der Täter das Paket im Waggon hinterlass­en haben. Der Zug kam aus Wimbledon im Süden. Die Polizei wird sich jetzt auf die Bilder der Überwachun­gskameras in den fünf U-Bahnhöfen vor Parsons Green konzentrie­ren. Ein mit einem Messer bewaffnete­r Mann sei später in Birmingham verhaftet worden, berichtet die „Birmingham Mail“. Ob es einen Zusammenha­ng mit dem Londoner Anschlag gibt, ist zunächst unklar.

Auch die Bombe selbst dürfte den Fahndern Informatio­nen liefern: DNA-Spuren sollten zu finden sein; auch die Machart liefert Hinweise. Rund 3000 „subjects of interest“, also Terrorverd­ächtige, kennen die Sicherheit­skräfte in Großbritan­nien, weitere 20.000 Personen gelten als mögliche Sympathisa­nten. Und zurzeit werden rund 500 geplante Anschläge untersucht.

Fast gleichzeit­ig gab es eine Messeratta­cke in der Pariser U-Bahn. Der Angreifer wurde am Morgen in der Metrostati­on Châtelet im Zentrum der französisc­hen Hauptstadt festgenomm­en, wie Polizeikre­ise bestätigte­n. Es habe keine Verletzten gegeben. Der Täter habe Äußerungen in Zusammenha­ng mit Allah gemacht. Die Anti-Terror-Staatsanwa­ltschaft ermittelt.

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