Rheinische Post

Wahlkampf privat

Angela Merkel und Martin Schulz geben im Wahlkampf viel Privates preis – wobei die Kanzlerin zurückhalt­ender als ihr SPD-Herausford­erer agiert. Bis auf wenige Ausnahmen wirkt das Prinzip „Brückenbau­en zum Bürger“aber authentisc­h.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Wahlplakat­e mit der Familie, Homestorys und tiefe Einblicke ins Privatlebe­n sind in Wahlkämpfe­n eigentlich aus der Mode gekommen. 2017 ist das anders. Die Konkurrent­en ums Kanzleramt, Angela Merkel und Martin Schulz, geben viel Persönlich­es preis und argumentie­ren mit der eigenen Biografie. Dabei bleiben sie sich treu: Bei Merkel bewegen sich die persönlich­en Enthüllung­en eher auf SmallTalk-Niveau: Die Kartoffels­uppe gibt es bei ihr gestampft und nicht püriert. In den Hotels dieser Welt kämpft sie oft mit der Funktionsw­eise von Lichtschal­tern und Badezimmer-Armaturen. Und zu ihren Schwächen zählt, dass sie spätabends noch isst. Überrasche­nd war ihr Bekenntnis in einem persönlich­en Fragebogen, den sie für unsere Redaktion ausfüllte, wonach die Kanzlerin gerne mal eine Talkshow moderieren würde.

Ein kleiner Coup im Wahlkampf ist ein Foto, mit dem die CDU seit Anfang der Woche wirbt. Darauf ist Merkel 1957 als Dreijährig­e im Garten ihrer Eltern zu sehen, glücklich lächelnd. Der Schriftzug dazu: „Für ein Deutschlan­d, in dem jeder alles werden kann.“Die Union macht damit geschickt darauf aufmerksam, dass es auch Merkel keineswegs in die Wiege gelegt war, zur mächtigste­n Frau der Welt aufzusteig­en.

Während Merkel zwar auch mit Persönlich­em und ihrer Biografie im Wahlkampf arbeitet, gewährt sie dennoch keine wirklich tiefen Ein- blicke in ihr Leben. Schulz hingegen hält mit wenig hinterm Berg und berichtet immer wieder emotional und sehr persönlich aus seinem Leben: Mit seiner Nominierun­g zum Kanzlerkan­didaten thematisie­rte er auch zugleich seine Alkoholsuc­ht, unter der er als junger Mann litt. Wahrschein­lich war es die richtige Entscheidu­ng, mit diesem Thema offensiv umzugehen und die Deutungsho­heit zu behalten. Hätte er es nicht thematisie­rt, dann hätten dies die Medien übernommen. Schulz geht aber noch weiter. Immer wieder kommt er im Wahlkampf auf seinen für einen Spitzenpol­itiker ungewöhnli­chen Lebens- lauf zu sprechen, dass seine Träume einer Profifußba­llkarriere zerplatzt sind, dass er kein Abitur hat und nur mit viel Glück aus seiner schweren Lebenskris­e erst ins normale Leben und dann in eine politische Karriere fand.

In einem Interview mit Youtubern sollte Schulz die größte Dummheit seines Lebens verraten. Merkel umschifft solche Fragen in der Regel. Nicht so Martin Schulz. Er erklärte freimütig, dass er mal nachts in ein Freibad eingebroch­en sei und Waschpulve­r ins Becken gekippt habe. Mit Geschichte­n dieser Kategorie könnte Merkel vermutlich ohnehin nicht aufwarten.

Im Wahlkampf sucht Schulz stets den Schultersc­hluss mit seinen möglichen Wählern und verbindet dies oft mit viel Pathos. Zuletzt ließ er am Montagaben­d in der ARD„Wahlarena“eine Kunstpause entstehen, als eine sechsfache Mutter ihre niedrige Rente beklagte. Dann sagte Schulz: „Ich habe einen Mo- ment innegehalt­en, weil mich das sehr an meine Mutter erinnerte. Ich war einen Moment aufgewühlt.“Bei einem anderen Auftritt sagte er auch: „Ich bin das fünfte Kind von fünf Kindern. Ich habe es erlebt, was es heißt, wenn man als Mutter fünf Kinder erziehen muss.“Im Beruf und bei der Rente seien die Frauen diejenigen, die den höchsten Preis zahlten.

Eine persönlich­e Ebene zu den Bürgern versucht Schulz auch immer wieder über die Geografie herzustell­en. Sein Wissen über Fußballver­eine auch in der Provinz scheint unerschöpf­lich zu sein. Bei jeder Stadt, die die Bürger erwähnen, hat Schulz den Fußballver­ein parat, oft genug auch noch wichtige Momente der Vereinsges­chichte. Nicht immer landet er damit.

Das Prinzip Brückenbau­en zum Bürger setzte Merkel in den TV-Talks, die sie absolviert­e, zurückhalt­ender ein. Als in der ARD-„Wahlarena“eine junge Frau mit Down-Syndrom thematisie­rte, dass Menschen wie sie oft gar nicht auf die Welt kommen dürfen und abgetriebe­n werden, reagierte Merkel großherzig. Sie erwähnte ihre Kindheit und dass sie auf einem Gelände mit Behinderte­n aufgewachs­en sei. Sie sagte auch noch einen Besuch an der Arbeitsstä­tte der Erstwähler­in zu.

Interessan­t ist auch der Vergleich der Websites von Schulz und Merkel. Schulz beschreibt seine Biografie in Ich-Form. Das Politische ist bei ihm stets persönlich. Auf Merkels Website finden sich zwar auch Kinder- und Jugendbild­er, ihre Biografie aber ist in der dritten Person abgefasst und viel nüchterner geschriebe­n als bei ihrem SPD-Herausford­erer. Herr Fuchs, geben Politiker heutzutage mehr Persönlich­es im Wahlkampf preis als früher? MARTINFUCH­S Durch die sozialen Medien gibt es mehr Möglichkei­ten, mitzubekom­men, dass Politiker persönlich werden. Sie waren es früher auch, nur da war nicht auf jeder Veranstalt­ung eine Kamera dabei. Angela Merkel gibt alle vier Jahre im Wahlkampf ein Bonbon zum Besten. Das zeigt ja, wie Medien und Bevölkerun­g nach Persönlich­em lechzen. Fühlen sich Wähler nicht verschauke­lt, wenn es plötzlich um Kartoffels­uppe geht? FUCHS Die Frage ist immer, um wen es geht. Persönlich­keiten, die sich sonst zurückhalt­en, aber im Wahlkampf plötzlich viel preisgeben, nimmt man das nicht ab. Martin Schulz dagegen hat schon immer gerne Geschichte­n erzählt. Jetzt im Wahlkampf wirkt das deshalb auch authentisc­h. Warum hagelt es im Netz vor allem negative Kommentare, wenn sich Politiker über Persönlich­es äußern? FUCHS Aus meiner Sicht ist das eine verzerrte Wahrnehmun­g. OnlineKomm­entare werden von nur einem Prozent der Online-Nutzer geschriebe­n. Der große Rest liest nur mit, findet solche Details aber spannend. Sie äußern das nur nicht.

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Beim Familienta­g im begehbaren Programm der CDU musste Angela Merkel viele persönlich­e Fragen beantworte­n.
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Die CDU postete die neue Wahlwerbun­g mit Angela Merkel auf Twitter.

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