Rheinische Post

„Bei uns wird über die Zukunft debattiert“

Die Leiterin des Forum Freies Theater (FFT) spricht über die Rolle ihres Hauses in der Stadt und den Umzug ins „KAP 1“.

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Treffpunkt für das Gespräch mit Kathrin Tiedemann: Das Erdgeschos­s über den FFT-Kammerspie­len. Dort nutzt das Theater einige leerstehen­de Büroräume vorübergeh­end, bis sie umgebaut werden. Demnächst soll hier ein Hotel entstehen, aus den oberen Stockwerke­n hört man denn auch schon lautes Hämmern. Das Theater sucht nun Ersatz. Der neue Slogan der FFT-Kampagne zum Spielzeita­uftakt lautet: „Fragen. Keine Antworten.“Machen Sie sich keine Sorgen, dass Sie Ihr Publikum enttäusche­n, wenn es das Theater mit Fragezeich­en über den Köpfen verlässt? TIEDEMANN Natürlich muss man gute und wichtige Fragen stellen, gerade weil wir zurzeit erleben, dass einfache Antworten leider häufig viel zu schnell zur Hand sind. Aber es könnte eben sein, dass es nicht auf alles Antworten gibt und dass man das aushalten muss. Die Fähigkeit zu hinterfrag­en, kann auch eine Stärke sein. Aber ist es nicht auch Aufgabe des Theaters, Antworten zu geben? TIEDEMANN Nur bedingt. Was wir in unseren Veranstalt­ungen und Reihen versuchen: gemeinsame Perspektiv­en zu entwickeln. Welche Fragen beschäftig­en Sie denn? TIEDEMANN Wir wollen uns in den nächsten Jahren auf gewisse Themen konzentrie­ren und uns etwa mit dem Postkoloni­alismus beschäftig­en, mit Fragen der Stadtgesch­ichte, aber auch mit Geschichte­n von Migranten. Deutschlan­d begreift sich erst seit einigen Jahren als Einwanderu­ngsgesells­chaft, wenn überhaupt. Mich interessie­rt, warum das so ist. Wir wollen Räume schaffen, in denen über solche Dinge debattiert werden kann. Die Zukunft der Demokratie und das Theater der Digital Natives sind weitere Themen. Zuweilen sehen sich die Menschen dann aber Performanc­es an und denken: schräg, verkopft, überhaupt nichts kapiert. TIEDEMANN Für mich sind das die schönsten Momente, wenn ich etwas nicht verstehe. Das muss man als Geschenk betrachten, wenn man rausgeriss­en wird aus dieser Sicherheit, dass man denkt: Es ist alles klar. Ein Kunstwerk wird lebendig aus dem, was ein Betrachter daraus macht. Es braucht eine Mischung aus Dingen, die man kennt, und dem, was man nicht versteht. Vielleicht stößt das dann auch auf Ablehnung. Aber es geht nicht darum, Einverstän­dnis zu produziere­n. Die Auslastung im FFT lag zuletzt bei mehr als 80 Prozent. Dennoch geben Sie als Ziel aus, sichtbarer werden zu wollen. Wie passt das zusammen? TIEDEMANN Mein Eindruck ist, dass wir uns in einem großen, aber auch klar zu identifizi­erenden Kreis von Interessie­rten bewegen, zu dem Menschen gehören, die die aktuellen Entwicklun­gen in den Künsten verfolgen. Das ist eine wichtige Rolle, die wir damit in Düsseldorf spielen. Genauso wichtig finde ich es aber, dass dieses Publikum anderen gesellscha­ftlichen Gruppen begegnet. Ich erwarte nicht, dass jeder ins Theater kommt, aber die Menschen in Düsseldorf sollten zumindest wissen, dass es das FFT gibt und wofür wir stehen. Eine der Empfehlung­en aus dem Kulturentw­icklungspl­an ist, dass sich die Einrichtun­gen mehr vernetzen sollen. Tun sie das noch zu wenig? TIEDEMANN Vernetzung funktionie­rt über gemeinsame Interessen, das muss weder verordnet noch eingeforde­rt werden. Wo es sinnvoll ist, findet Vernetzung statt. Wir kooperiere­n ja ohnehin schon mit anderen Häusern, wenn das notwendig ist. Tatsächlic­h lebt das FFT auch von diesen Begegnunge­n und Verknüpfun­gen, unser Haus hat immer etwas Improvisie­rtes. Nun hat sich das Schauspiel­haus eine Bürgerbühn­e eingericht­et, dabei ist Teilhabe ein klassische­s FFT-Thema. Ärgert Sie das? TIEDEMANN Überhaupt nicht. Natürlich gibt es Überschnei­dungen von Arbeitsans­ätzen. Ich bin mir sicher, dass auch bei den Inszenieru­ngen der Kollegen ein wichtiger Aspekt darin besteht, dass sich dort Menschen treffen und austausche­n. Wenn Leute Lust haben, die Möglichkei­ten des Theaters zu entdecken, sehe ich das immer positiv. Sie sollen 2021 im „KAP1“am Hauptbahnh­of eine neue Spielstätt­e bekommen, und Sie begrüßen das. Was stört Sie an den alten Spielstätt­en? TIEDEMANN Einerseits, dass wir auf zwei Standorte aufgeteilt sind, anderersei­ts die Bühnenverh­ältnisse. Wir haben begrenzte Möglichkei­ten und können manche Produktion­en gar nicht zeigen, weil sie einfach nicht auf die Bühnen passen. Die bisherigen Räume sind zudem relativ alt und müssten instand gesetzt werden, zum Beispiel müsste die Elektrik erneuert werden. Welche Voraussetz­ungen muss das „KAP1“für Sie erfüllen? TIEDEMANN Für uns ist es sehr wichtig, dass wir einen flexibel zu nutzenden Raum bekommen, das wurde uns zugesagt. Ich glaube aber nicht, dass wir unsere bisherige Arbeit einfach so übertragen können. Deshalb fangen wir bereits an, uns mit den Gegebenhei­ten um den Bahnhof auseinande­rzusetzen, um zu sehen, ob und wie wir uns dort neu verbinden können. Vielleicht benötigen wir dafür auch ein neues Konzept. Dass unser Team zusammenge­führt wird, ist eine echte Perspektiv­e, und wir tauschen uns bereits mit den Kollegen der Zentralbib­liothek aus . . . . . . die dort ebenfalls untergebra­cht werden sollen. TIEDEMANN Vielleicht ergeben sich daraus ja ganz neue Formate, aus Bibliothek und dem Theater an einem Ort. Vielleicht verlieren Sie dadurch auch an Sichtbarke­it, wenn Sie in einem Gebäude mit mehreren Instituten zurechtkom­men müssen. TIEDEMANN Undenkbar ist das nicht. Ganz praktisch aber gab es für uns gar keine Alternativ­e. In der Vergangenh­eit haben wir immer wieder bewiesen, dass wir aus dem, was wir vorfinden, etwas Interessan­tes machen können. Deshalb bin ich zuversicht­lich, dass uns das auch dort gelingt.

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Kathrin Tiedemann

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