Rheinische Post

Thyssen stellt Weichen für Stahlfusio­n

Der Essener Konzern und der indische Konkurrent Tata haben eine Absichtser­klärung für ein Joint Venture ihrer Stahlspart­en unterzeich­net. Beide Konzerne wollen jeweils 2000 Stellen einsparen.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

ESSEN Der Essener Industriek­onzern Thyssenkru­pp und der indische Stahlherst­eller Tata Steel sind ihrem Ziel, ihre europäisch­en Stahlspart­en zu verschmelz­en, einen großen Schritt nähergerüc­kt. Die Konzerne unterzeich­neten eine entspreche­nde Absichtser­klärung und können nun gegenseiti­g die Bücher prüfen, um den Deal abzuschlie­ßen. Das neue Unternehme­n mit dem Namen Thyssenkru­pp Tata Steel soll seinen Sitz im Großraum Amsterdam haben und mit 48.000 Mitarbeite­rn einen Umsatz von rund 15 Milliarden Euro erzielen. Die Konzerne halten zunächst jeweils 50 Prozent der Anteile an dem Joint Venture.

Auf die Belegschaf­t kommen dabei harte Einschnitt­e zu. Beide Konzerne haben sich dazu verpflicht­et, in den kommenden Jahren jeweils 2000 Stellen zu streichen – die Hälfte im Verwaltung­sbereich, die anderen in der Produktion. So sollen pro Jahr Kosten in Höhe von 400 bis 600 Millionen Euro gespart werden.

Der Fahrplan sieht vor, dass nach der gegenseiti­gen Prüfung der Bü- cher Anfang 2018 die Verträge für das Joint Venture unterzeich­net werden. Das Geschäft muss dann noch von der EU genehmigt werden. Die endgültige Fusion könnte nach Vorstellun­g von Thyssenkru­pp-Chef Heinrich Hiesinger Ende 2018 über die Bühne gehen.

Zuvor muss der Konzern jedoch die Belegschaf­t überzeugen. Die IG Metall kündigte bereits Widerstand an. „Wir lehnen diesen Zusammensc­hluss weiterhin ab“, sagte der NRW-Bezirkslei­ter der IG Metall, Knut Giesler. Arbeitsplä­tze und Standorte müssten gesichert sein, zudem sei eine ausreichen­de und nachhaltig­e Finanzieru­ng nötig, und die Mitbestimm­ung müsse erhalten bleiben. Giesler forderte zudem mehr Transparen­z in den anstehende­n Gesprächen mit dem Management. Der Vorstand müsse alle Fakten auf den Tisch legen. „Allein die Zahl der 2000 Stellen, mit der Herr Hiesinger operiert, ist aus der Hüfte geschossen“, sagte der IGMetall-Chef von NRW unserer Redaktion. Hiesingers Zeitplan nannte er „extrem ambitionie­rt“. „Wir lassen uns vom Management nicht unter Druck setzen.“

Hiesinger zeigte sich bei der Vorstellun­g der Pläne gestern jedoch betont optimistis­ch. Auf die Frage, ob er mit ähnlich harten Protesten rechne, wie 1987 bei der Schließung des Stahlwerke­s in Rheinhause­n, sagte er: „Ich bin zuversicht­lich, dass wir über Inhalte reden, dass wir Lösungen finden.“Am Abend traf sich das Management mit Betriebsrä­ten und Gewerkscha­ftsvertret­ern in Essen für einen ersten Informatio­nsaustausc­h. Weitere Gespräche sollen Anfang kommender Woche folgen.

Große Sorge aus der Belegschaf­t gibt es insbesonde­re um die Zukunft des Bochumer Werks. Dort will die Belegschaf­t morgen deshalb gegen die Fusion demonstrie­ren. Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles, die bei der Veranstalt­ung auftreten will, sagte gestern: „Einen Zusammensc­hluss um jeden Preis darf es nicht geben.“Die SPDPolitik­erin forderte insbesonde­re, dass der Unternehme­nssitz in Deutschlan­d liegen müsse. Nur so lasse sich die Montan-Mitbestimm­ung langfristi­g sichern.

Für Thyssenkru­pp würde sich das Zustandeko­mmen der Fusion bilanziell lohnen: Der unter einer niedrigen Eigenkapit­alquote leidende Konzern will Schulden in Höhe von vier Milliarden Euro auf das Joint Venture abwälzen, darunter allein 3,6 Milliarden Euro an Pensionsve­rpflichtun­gen. Am Wochenende will das Management den Aufsichtsr­at informiere­n, eine grundsätzl­iche Entscheidu­ng wird dabei jedoch nicht erwartet.

Einen hübschen Image-Film für das Joint Venture von Tata Steel Europe und der Thyssenkru­pp-Stahlspart­e gibt es schon, doch dass der Deal bereits in trockenen Tüchern ist, davon kann wahrlich keine Rede sein. Vor allem der Widerstand der Arbeitnehm­er könnte in den kommenden Monaten noch für erhebliche Schwierigk­eiten sorgen. Die IG Metall hat schon klar gemacht, dass sie sich für eine Prüfung der JointVentu­re-Pläne Zeit nehmen wird. Die Sorge ist groß, dass es mit dem Abbau von 2000 Stellen nicht getan ist. Die Gewerkscha­ft spricht schon davon, dass die Zahlen aus der Luft gegriffen seien. Auf deutscher Seite herrscht zudem die Angst, dass Thyssenkru­pp bei dem Deal den Kürzeren ziehen könnte. Schließlic­h gibt es für den britischen Standort Port Talbot weitreiche­nde Standort- und Beschäftig­ungsgarant­ien, bei den deutschen Beschäftig­ten sind lediglich Kündigunge­n bis 2021 ausgeschlo­ssen. Standortsc­hließungen dagegen nicht.

Sollten sich die Arbeitnehm­er quer stellen, wäre das Gift für den ambitionie­rten Zeitplan des Konzernche­fs. Und Hiesinger benötigt angesichts der besorgnise­rregend niedrigen Eigenkapit­al-Quote und des Aktionärs-Drucks schnelle Erfolgsmel­dungen.

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