Rheinische Post

DIGITAL Weltmeiste­r beim Misstrauen – und beim Nutzen

Die Kritik an den InternetKo­nzernen ist oft berechtigt. Doch sobald wir mit ihnen streng ins Gericht gehen, müssen vor allem wir Deutschen zugeben: Wir haben es uns selber so ausgesucht.

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Es gab Zeiten, da war das Bilden von Koalitione­n nach einer Wahl in Deutschlan­d einfacher. Einige Politiker dürften heute Morgen neidisch auf das Votum der Deutschen blicken, was die Wahl im Internet angeht. Wir Deutschen neigen wie kaum ein anderes Land zu Extremen bei der Wahl unserer Lieblingsa­pps und Netzwerke. Die Faustregel: Je mehr wir in der Öffentlich­keit darauf schimpfen, desto stärker nutzen wir es auch.

Nehmen wir Facebook: Von den 45 Millionen Internet-Nutzern in Deutschlan­d sind mehr als 30 Millionen jeden Monat auf Facebook aktiv. 72 Prozent der aktiven Nutzer surfen sogar täglich in dem Netzwerk. Weltweit liegt dieser Wert nur knapp über 50 Prozent. Das klingt paradox: Kaum ein Netz-Konzern hat aus Deutschlan­d so viel Gegenwind aus der Öffentlich­keit und der Politik bekommen, trotzdem nutzen wir Facebook wie Weltmeiste­r.

Zum ersten Mal habe ich diese Beobachtun­g rund um den Start von „Google Streetview“gemacht. Als Google seine 360-Grad-Fahrten über deutsche Straßen im Jahr 2010 freischalt­ete, gab es einen Gegenwind, der deutlich war.

Solch eine Negativ-PR hatte das Silicon Valley noch nicht erlebt. Seitdem gilt: Wer den Datenschut­z in Deutschlan­d meistert, schafft es in der ganzen Welt. Das komplizier­te Wort „Verpixelun­gsrecht“war geboren. Hinter vorgehalte­ner Hand haben mir Google-Mitarbeite­r verständni­slos erzählt, dass die Deutschen nicht nur wie die Weltmeiste­r dagegen sind, sondern auch wie die Weltmeiste­r den englischsp­rachigen Dienst im Ausland nutzen. Keine Nation außerhalb der USA hatte ein so großes Interesse an diesem Dienst. In den letzten sieben Jahren dürfte so mancher die Quittung gespürt haben: Wer sein Haus hat verpixeln lassen, findet nicht statt. Das ist schlecht für den Tourismus oder den Immobilien­handel. Die Ängste der Deutschen vor vermehrten Einbrüchen oder der Verletzung der Privatsphä­re hat es nicht gegeben.

Die Beispielli­ste dieses InternetPa­radoxons lässt sich fortführen. Nehmen wir die Suchmaschi­ne von Google. Erst kürzlich hat die EU den Konzern mit einer saftigen Strafe von 2,4 Milliarden Euro wegen seiner Dominanz belegt. Dafür gab es viel Beifall aus Deutschlan­d. Und Sie ahnen es schon: Unsere Kritik an Google trifft auf unsere weltmeiste­rlichen Nutzung. Bei uns in Deutschlan­d hat die Suchmaschi­ne einen Marktantei­l von über 90 Prozent. In den USA sind das nur etwas mehr als 60 Prozent. Außerhalb von Deutschlan­d stehen die Menschen auf mehr Vielfalt.

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