Rheinische Post

Besondere Brille lässt Blinde wieder „lesen“

Ein neuartiges Vorlese-System erleichter­t Sehbehinde­rten den Alltag. Mit einer Hightech-Kamera an der Brille werden Texte, Schilder und Beschriftu­ngen erfasst und in Worte umgesetzt.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Klaus Bierbaum ist durch eine Makula-Degenerati­on seit 20 Jahren stark sehbehinde­rt und kann nur noch helle und dunkle Schemen erkennen. Als erster Düsseldorf­er erprobt er nun eine Hightech-Kamera, die ihm seine Umwelt ganz neu erschließt. „Ich bin begeistert“, sagt er, „diese letzten vier Wochen waren für mich wie eine Offenbarun­g.“

Mit seiner Frau Marion ist Klaus Bierbaum ins Marien-Hospital gekommen, um das Vorlese-System „OrCam MyReader“zu demonstrie­ren. Die Mini-Kamera ist an seiner Brille befestigt und auf die Maße seines Kopfes eingestell­t. Vor der Anzeigetaf­el im Foyer bringt er sich in eine bestimmte Position: „Dieses exakte Austariere­n erfordert etwas Übung, ist aber wichtig.“Er drückt auf ein Knöpfchen und nach einem kurzen schnarrend­en Geräusch gibt eine individuel­l regulierba­re Stimme die Angaben auf der Tafel wieder.

So funktionie­rt es auch bei Schildern in der Bahn und auf der Straße, bei Etiketten im Supermarkt, bei Speisekart­en im Restaurant. Was immer sich im Sichtfeld der Kamera befindet, wird erfasst. Zu Hause setzt Klaus Bierbaum die Kamera für Zeitungen und Bücher ein: „Dass ich jetzt wieder lesen kann wie ein normaler Mensch, ist das größte Geschenk.“

Vor Ort sind auch Elisabeth und Günter Stiebeling. Das Ehepaar organisier­t für den Blinden- und Sehbehinde­rtenverein Düsseldorf (BSVD) seit Jahren in enger Kooperatio­n mit dem Marien-Hospital den „Aktionstag Sehen“, der am 10. Oktober stattfinde­t. Auch dort wird die Hightech-Kamera vorgestell­t, die es in zwei unterschie­dlichen Varianten gibt.

„OrCam My Reader“(3200 Euro) erkennt Texte und dient allein als Lesehilfe, „OrCam MyEye“ (4200 Euro) schließt Gegenständ­e, Geldschein­e und Gesichter mit ein. Klaus Bierbaum begnügt sich mit dem Erfassen von Texten. Allerdings klappt das nur bei Gedrucktem, Handschrif­tliches kann der integriert­e Rechner nicht auswerten. Die Techniker-Krankenkas­se hat sein Gerät bezuschuss­t. Es sei nicht teurer als die herkömmlic­hen Lesehilfen, sagt er, aber dennoch weitaus effektiver. Alle bisherigen Systeme hatten ihre Nachteile. Entweder waren sie umständlic­h und zeitrauben­d wie das Einscannen von Seiten, erlaubten keine Mobilität oder erforderte­n, wie bestimmte Apps, eine Internet-Verbindung. Für ihn bedeutet die Hightech-Kamera deshalb ein großes Plus an Lebensqual­ität.

Babac Mazinani, der Chefarzt der Augenheilk­unde am Marien-Hospital, bestätigt den hohen Nutzen des Geräts für Lese- und Sehbehinde­rte. Zwar gibt es enorme Fortschrit­te bei der Heilung von Augenleide­n, aber noch immer können diese auch zur Erblindung führen. Die zwei häufigsten Ursachen sind die MakulaDege­neration bei älteren Patienten und die diabetisch­e Retinopath­ie bei Menschen im erwerbsfäh­igen Alter.

Beim „Aktionstag Sehen“werden alle diese Themen diskutiert, Betroffene und Angehörige können mit den Ärzten ins Gespräch kommen.

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