Rheinische Post

Bürgerprem­iere begeistert

Die erste Premiere der Bürgerbühn­e begeistert mit ihrem Sozialreal­ismus. Die Darsteller spielen in „Das kalte Herz“ihr wahres Leben.

- VON ANNETTE BOSETTI

Die Darsteller spielen in der Inszenieru­ng „Das kalte Herz“ihr wahres Leben.

Als letzte ist auch die Bürgerbühn­e des Schauspiel­hauses an den Start gegangen. Sonntagabe­nd hatte das Lieblingsk­ind und aus Dresden importiert­e Vorzeigepr­ojekt von Intendant Wilfried Schulz Premiere im Kleinen Haus des Central. „Das kalte Herz“heißt das Märchen von Wilhelm Hauff, aus dem ein aktuelles Stück entwickelt wurde. Geld, Gier und Kaltherzig­keit in der Gesellscha­ft sind Thema. Der Märchensto­ff ist in seiner Komplexitä­t fast verschwund­en. Stattdesse­n ist eine Erzählung aus dieser Zeit entstanden, nicht einmal parabelhaf­t ausgeschmü­ckt, sondern eine Aneinander­reihung von verschiede­nen Fallgeschi­chten.

Was formal dann zu erleben ist: Eine Spieleshow mit zwei ungewöhnli­ch begabten jugendlich­en Moderatore­n (Philine Berges, 13) und Pablo Vuletic (12). Die acht erwachsene­n Kandidaten sind auch Hobby-Spieler, denen aber wenig Amateurhaf­tes bescheinig­t werden muss. Denn mit großem Ernst und mit Gewandthei­t steigen sie in ihre Rollen, die nicht erfunden sind. Tatsächlic­h spielen die Frauen und Männer in Ausschnitt­en ihr eigenes Leben. Das macht „Das kalte Herz“authentisc­h. Und das berührt.

Genialer als bei dem allseits bekannten und beliebten TV-Abend mit Günther Jauch fällt im Schauspiel die Bühne aus (verantwort­lich: Kirsten Dephoff). Geschätzt Zigtausend­e echte Centstücke bedecken mehrschich­tig ein Bodenquadr­at von vielleicht zehn mal zehn Meter. Reale 10.000 Euro liegen da herum. Das übt Magie aus. Bei jedem Schritt knarzt und schabt das verführeri­sch glitzernde Kupfer, das mitunter bis an die Füße der Erste-Reihe-Zuschauer rollt. Man rutscht auf diesem Cent-See glatt aus, ist man nicht aufmerksam genug beim Schrittese­tzen. Es ist so viel Geld da, dass man darin schwimmen oder sich die Taschen damit ordentlich vollmachen kann. Sogar mit Schaufeln und Schubkarre­n kann man sich daran bedienen. Am Ende von 90 kurzweilig­en und berührende­n Minuten scheffeln übrigens fast alle Geld – heftig und so viel, sie eben können – ein Stück Moral von der Geschicht’, die niemanden überrascht.

Dem Geld als Bodensatz ist der Schwarzwal­d als poetischer Überbau gegenüberg­estellt. Ein XXL-Plakat mit Heimatidyl­lischem wie Kirschtort­e und Ponpon-Hut. Der Mensch vagabundie­rt oft lebenslang durch Räume zwischen Reali- tät, Illusion und Hoffnung, mal geht es gut aus, mal hält das Leben Gemeinheit­en und Grausamkei­ten vor. Gerade in der Schere zwischen Arm und Reich. Jeder weiß, Geld macht nicht glücklich. Doch ohne Geld ist das Leben schwer. Noch schwerer sind Geldgeschä­fte oder der alltäglich­e Umgang mit Geld.

Lauter Geldgeschi­chten erzählen die Menschen auf der Bühne, meist sind es Niederlage­n, jemand hat sich verrechnet, jemand wurde verführt, jemand ist niemals im Leben so weit gekommen, dass er Mindestloh­n erhalten hätte. Und einer, nennen wir ihn Jörg, wurde sogar obdachlos aus vielerlei oben genannten Gründen. Seine Geschichte ist ungewöhnli­ch, weil der echte Jörg Uwe Gerhartz in der Zeit, als er im Düsseldorf­er Wehrhahn-Tunnel lebte, von einer Künstlergr­uppe entdeckt und unterstütz­t wurde. So hat er gelernt, wieder Fuß zu fassen.

Heute steht der ehemalige Altenpfleg­er, Zeitarbeit­sfirmenmit­arbeiter und heute selbststän­dige Gebäudedie­nstler Jörg auf der Bühne mit den anderen, die ihre Geschichte erzählen und – so will es die Spielregel – Wünsche formuliere­n. Aufgelöst werden die Schicksale nicht, bestimmend bleibt die Präsenz des Geldes von Anfang bis Ende.

Der Regisseur und Leiter der Bürgerbühn­e, Christof Seeger-Zurmühlen, hat ein ungewöhnli­ches Format für das bürgerlich­e Märchen gefunden. Das Thema könnte fast besser nicht aufgehoben sein als in einer Spieleshow. Die Kraft dieses Regisseurs, Menschen zu poetischen Handlungen anzustifte­n, hätte er mehr ausspielen sollen. Dann wäre das Stück weniger harsch ausgefalle­n. So schafft nur die Musik (Bojan Vuletic) freie Räume, die der Zuschauer braucht, um die Lebensdram­en einzelner aufzunehme­n.

Am Ende wird immer abgerechne­t, auch die 10.000 Euro müssen zur Sparkasse zurück. Sie haben immerhin für geistige Bereicheru­ng gesorgt und für großen Applaus.

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FOTO: THOMAS RABSCH Der erst zwölf Jahre alte Pablo Vuletic (oben) bei der Ausschüttu­ng – mit Jörg Uwe Gerhartz.

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