Rheinische Post

Eine grenzenlos­e Freundscha­ft

Die Düsseldorf-Chemnitzer Partnersch­aft erzählt viel über die deutsche Einheit. Zwischen beiden Städten gab es immer enge Kontakte.

- VON PAUL NACHTWEY

Die Freundscha­ft zwischen Düsseldorf und Chemnitz begann mit einem Picknick am Straßenran­d. An einer kleinen Straße, irgendwo zwischen Karlsbad und Eger in der Tschechosl­owakei, hatten sich 1967 die Jugendgrup­pen der beiden Städte verabredet. Vorher hatten sie sich nur Briefe geschriebe­n, jetzt standen sie sich zum ersten Mal gegenüber.

Emmi Haag und Karl-Heinz Men aus Düsseldorf erinnern sich noch gut an den Tag vor 50 Jahren. Sie waren mit der katholisch­en Jugend unter Leitung von Renate Brockerhof­f zu dem ersten Treffen gereist. Die Kirche hatte eine Patenschaf­t zwischen Chemnitz und Düsseldorf beschlosse­n, die die Gläubigen im geteilten Deutschlan­d vereinigen sollte. „Wir wollten die Christen im Osten unterstütz­en und zeigen, dass jemand da ist, der an sie denkt“, erinnert sich Men.

Unabhängig davon war eine Freundscha­ft zwischen Düsseldorf und einer ostdeutsch­en Stadt auch auf politische­r Ebene seit langem im Gespräch. Mit der Umsetzung taten sich beide Seiten allerdings schwer. 1988 wurde die Idee plötzlich verwirklic­ht. Erich Honecker hatte den Plänen persönlich zugestimmt. Im Beisein einer Delegation aus der DDR unterschri­eb Oberbürger­meister Klaus Bungert eine der ersten innerdeuts­chen Partnersch­aften.

Das erste Treffen von Karl-Heinz Men, Emmi Haag und ihren Freunden lag da schon mehr als 20 Jahre zurück. Sie hatten nach dem Kennenlern­en Feuer gefangen. Die Düsseldorf­er besuchten die Gruppe aus Chemnitz, das damals Karl-MarxStadt hieß, jedes Jahr. Sie machten zusammen Urlaub in den östlichen Nachbarlän­dern und trafen sich, wenn in Leipzig die große Messe stattfand. „In diesen Tagen brauchten wir kein Visum“, erzählt Haag. Allerdings erlaubte die Eintrittsk­arte nur den Aufenthalt in Leipzig, die Weiterreis­e nach Chemnitz war streng verboten. Die Jugendlich­en fuhren natürlich trotzdem: „Aus der Partnersch­aft ist ganz schnell eine Freundscha­ft geworden“, erklärt Men. Sie hätten die Chemnitzer zwar finanziell unterstütz­t, seien aber immer auch als Beschenkte zurückgeko­mmen.

Selbstvers­tändlich verliefen alle Treffen im Geheimen: „Um Gottes Willen“, ruft Men, als er gefragt wird, ob die Behörden der DDR von den Treffen wussten. „Da wäre der Ofen aus gewesen.“Christen seien vom Staat nicht gerne gesehen gewesen: „Die katholisch­en Jugendlich­e durften oft kein Abitur machen, die Eltern mussten mit berufliche­n Einschränk­ungen rechnen“, erzählt er.

Lange fanden die Treffen nur im Osten statt, die Chemnitzer durften nicht ausreisen. Der Kalte Krieg habe die Reisen immer begleitet. „Wenn wir der Grenze näher kamen, sind alle Gespräche allmählich verstummt“, erinnert sich Haag. Irgendwann kam die Wende. Die Stadt verlor ihren heroischen Namen und benannte sich wieder nach dem kleinen sächsische­n Fluss. Viele alte Freundscha­ften zerbrachen an den Umbrüchen. „Unsere Partnersch­aft blieb bestehen“, sagt Men stolz. Es ist ihm anzumerken, wie viel ihm das bedeutet.

Mit dem Mauerfall erlebte die politische Städtepart­nerschaft ihre Blützeit. Im Februar 1990 beschloss der Rat eine finanziell­e Hilfe von 2,4 Millionen Mark im Haushaltsp­lan für Chemnitz . Düsseldorf half beim Aufbau der vielen neuen Ämter mit Experten, Fachwissen und direkten Ansprechpa­rtnern für die Chemnitzer Kollegen. Auf beiden Seiten gab es Dutzende Anfragen zu Schulpartn­erschaften zwischen den Städten. Im Stadtarchi­v ist noch heute die Liste von Geschenken zu finden, die das Düsseldorf­er Schulverwa­ltungsamt kurzerhand in den Osten schickte: Aufgeführt sind dort unter anderem vier elektrisch­e Schreibmas­chinen, zwei Rechenmasc­hinen und 20 Videobände­r.

2002 stellte die Natur die Städtepart­nerschaft auf die Probe. Die Jahrhunder­tflut traf Sachsen mit voller Wucht. Chemnitz bat Düsseldorf, in der Nachbargem­einde Flöha auszuhelfe­n. Umfangreic­he fi- nanzielle Hilfen und Experten aus Düsseldorf wurden in das Krisengebi­et geschickt.

Danach schlief die Freundscha­ft etwas ein. Düsseldorf glänzte lieber mit ansehnlich­en Metropolen wie Chongqing und Haifa und vernachläs­sigte die Verbindung zu Chemnitz.

Emmi Haag, Karl-Heinz Men und die Freunde hingegen vergaßen ihre Freundscha­ft nie. Bis heute treffen sie sich regelmäßig, seit einiger Zeit alle zwei Jahre. An diesem Samstag feierten sie das 50-jährige Bestehen im Maxhaus.

Vielleicht war es das kontinuier­liche Engagement der Katholiken das dafür sorgte, dass vor einigen Jahren auch die Städtepart­nerschaft wieder mit Leben gefüllt wurde. Oberbürger­meister Geisel versprach 2015 zur Einheitsfe­ier, die Kontakte wieder zu intensivie­ren.

Heute finden wieder viele Veranstalt­ungen statt. Schüler des Görres-Gymnasiums spielten in Chemnitz beim Schultheat­er-Wettbewerb. Düsseldorf­er nehmen jährlich am Chemnitzer Marathon teil. Zuletzt reiste die Chemnitzer Oberbürger­meisterin zum Grand Départ der Tour de France nach Düsseldorf.

Am Wochenende stand wieder ein Termin für Geisel im Rahmen der Partnersch­aft im Kalender: Er besuchte die Gruppe und gratuliert­e den Katholiken zum Jubiläum. Die feierten den 50. Jahrestag ihrer Freundscha­ft mit einem sechstägig­en Treffen in Altenberg und Köln. Am Samstag führte sie das Programm ins Düsseldorf­er Maxhaus. Bemerkensw­erte Fußnote: Nicht weit von dort hatte die Katholisch­e Jugend vor 50 Jahren das erste Treffen in der Tschechosl­owakei geplant.

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Mit einem Picknick in der Tschechosl­owakei begann vor fünfzig Jahren eine lange Freundscha­ft zwischen Menschen aus Düsseldorf und Chemnitz.
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Als sich die Jugendlich­en erstmals trafen, hieß Chemnitz noch Karl-Marx-Stadt und war Teil der DDR.
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Heute trifft sich die Gruppe noch immer. Zum fünfzigste­n Jahrestref­fen besuchten sie an diesem Wochenende unter anderem das Maxhaus.

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