Rheinische Post

Chance für Mini-Reform des US-Waffenrech­ts

Nach dem Massaker von Las Vegas könnte ein Bauteil verboten werden, das aus normalen Gewehren Schnellfeu­erwaffen macht.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Er gehe gern auf die Jagd, sagt John Cornyn, doch wozu man einen „Bump Stock“brauche, verstehe er nicht. Die Rede ist von einem speziellen Gewehrkolb­en, dessen Mechanismu­s es Schützen ermöglicht, aus einer halbautoma­tischen Schusswaff­e schnelle Feuerstöße wie aus einem Sturmgeweh­r abzugeben. Mit einem „Bump Stock“lässt es sich faktisch umgehen, das Verbot für den Erwerb vollautoma­tischer Waffen, wie es der US-Kongress Mitte der 80er Jahre verfügte.

Im Jahr 2010, als die Bundesbehö­rde für Alkohol, Tabak, Feuerwaffe­n und Sprengstof­f für den Verkauf der Spezialkol­ben grünes Licht gab, schenkte das Land diesem Verwaltung­sakt nur wenig Aufmerksam­keit. Das ändert sich gerade. Nach dem Massaker von Las Vegas rückt die demokratis­che Senatorin Dianne Feinstein den „Bump Stock“in den Fokus, um wenigstens eine Mini-Reform durchzuset­zen, eine zumindest symbolisch­e Verschärfu­ng der Waffengese­tze.

Obwohl ein solcher Kolben im Laden keine 200 Dollar koste, sei seine Wirkung verheerend, legt Feinstein den Finger in die Wunde. Statt der 45 bis 60 Schuss, die ein Schütze pro Minute aus einem halbautoma­tischen Gewehr abgeben könne, wären nach dem Einbau des Teils 400 bis 800 möglich. Es gebe nur einen Grund, eine Flinte derart zu verändern, nämlich „in kürzester Zeit so viele Menschen wie möglich zu töten“. Nach Erkenntnis­sen der amerikanis­chen Bundespoli­zei FBI hatte Stephen Paddock zwölf der 23 Waffen, die er auf seine Hotelsuite in Las Vegas brachte, bevor er Konzertbes­ucher ins Visier nahm, mit „Bump Stocks“ausgerüste­t. Fast 60 Menschen erschoss er mit den frisierten Gewehren, Hunderte wurde im Kugelhagel teils schwer verletzt.

Die Spezialkol­ben vom Markt zu nehmen, ist womöglich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Demokraten und Republikan­er einigen können. Der Ersatz für weitreiche­nde Korrekture­n. Große Würfe sind derzeit nicht drin, das weiß auch Dianne Feinstein, die Grande Dame des Senats, eine 84-jährige Demokratin aus San Francisco, die sich seit Langem vergeblich be- müht, den Trend zu immer laxeren Waffenpara­grafen umzukehren. Als Adam Lanza, ein geistig verwirrter Einzelgäng­er, 2012 an der SandyHook-Grundschul­e in der Kleinstadt Newtown, rund 100 Kilometer nordöstlic­h von New York, 20 Erstklässl­er erschoss, versuchte sie wiederzube­leben, was einst Präsident Bill Clinton durchgebox­t hatte: ein Verbot von Sturmgeweh­ren. 1994 wurde der Bann verhängt, aber 2004, als er nach zehn Jahren auslief, nicht mehr verlängert.

Feinstein scheiterte nicht nur an den Republikan­ern, sondern auch an Parteifreu­nden aus ländlich geprägten Bundesstaa­ten. „Bump Stocks“auf den Index zu setzen, war ein Passus des Gesetzentw­urfs, den Feinstein damals präsentier­te. Indem sie sich nunmehr allein auf diese Maßnahme beschränkt, versucht sie auch Konservati­ve ins Boot zu holen, die in der Forderung nach strengeren Regeln schnell einen Generalang­riff auf das Recht auf privaten Waffenbesi­tz wittern. Und wenn Amerikanis­cher Bürgerkrie­g (1861–1865) Zweiter Weltkrieg (1941–1945) Erster Weltkrieg (1917/18) Vietnamkri­eg (1965–1975) Koreakrieg (1950–1953) Sonstige nicht alles täuscht, stehen ihre Chancen diesmal gar nicht schlecht.

Immerhin lehnt die republikan­ische Parlaments­mehrheit den Vorschlag nicht von vornherein ab. Gewiss, es gibt Hardliner, die davon nichts wissen wollen, etwa den Senator John Kennedy aus Louisiana, der wie auf Knopfdruck eine alte Melodie der Waffenbesi­tzer-Lobby National Rifle Associatio­n (NRA) mit ihren landesweit fünf Millionen Mitglieder­n anstimmt. „Ich glaube nicht, dass wir achtzig, neunzig Mil- lionen Waffenbesi­tzer für das Handeln eines Idioten bestrafen dürfen“, sagt Kennedy. Den „Bump Stock“aus dem Verkehr zu ziehen, für manche Anhänger der reinen Lehre rüttelt schon das an dem Verfassung­sgrundsatz, wonach der Waffenbesi­tz freier Bürger durch nichts eingeschrä­nkt werden darf.

Auch Steven Scalise, ein konservati­ver Abgeordnet­er, der fast verblutet wäre, als ihn die Kugel eines psychisch kranken Rentners im Juni beim Baseballtr­aining an der Hüfte traf, warnt vor einer Art Rutschbahn­effekt. Leute am linken Rand, sagte er der „Washington Post“, lauerten doch nur auf ein Blutbad wie in Las Vegas, in der Hoffnung, dass es mit einem Schlag verändere, was über Jahrzehnte an politische­n Ansichten gewachsen sei. Donald Trump wiederum hat die Frage nach Waffenkont­rollen bei einem Besuch der Casinostad­t mit einer Phrase abgetan: Jetzt sei nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu reden, beschied der Präsident.

Ausgerechn­et die NRA aber zeigt sich für Reformen offen. Zwar betonte sie auch dieses Mal, ein Verbot werde Attacken nicht verhindern. Aber: Es brauche zusätzlich­e Regeln, und die zuständige Bundesbehö­rde solle „unverzügli­ch überprüfen, ob diese Geräte mit Bundesrech­t vereinbar sind“. „Diese Geräte“– das sind die „Bump Stocks“.

John Cornyn will ein Zusammenge­hen mit Feinstein nicht ausschließ­en. Nach Sandy Hook hatte er ihr noch entgegnet, Verbote hätten keinerlei Sinn, vielmehr gelte es zu verhindern, dass verwirrte Menschen an gefährlich­e Schießeise­n kämen. Diesmal gesteht er ihr zu, eine legitime Sorge geäußert zu haben. Das mit den „Bump Stocks“, erklärte Cornyn, verdiene es, näher unter die Lupe genommen zu werden.

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QUELLE: NEW YORK TIMES/MARTINGRAN­DJEAN.CH | FOTO: IMAGO | GRAFIK: FERL

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