Rheinische Post

Revolution in der Tonhalle

Die Symphonike­r treten mit russischen Kollegen auf – ohne Dirigenten.

- VON ARMIN KAUMANNS

Vielleicht ist Diktatur doch nicht die beste Gesellscha­ftsform für ein großes sinfonisch­es Orchester. Musizieren ohne Dirigent, kollektivi­stisch, hierarchie­frei, anarchisch – kann das funktionie­ren? Wir werden’s erleben. Denn an diesem Wochenende sind die Tonhalle und mit ihr die Düsseldorf­er Symphonike­r in revolution­ärer Stimmung. 100 Jahre nach der Oktoberrev­olution hat Intendant Michael Becker das einzige basisdemok­ratisch agierende Sinfonieor­chester der Welt, Persimfans, aus Moskau zum Experiment eingeladen: 40 russische Musiker sitzen dieser Tage mit knapp 50 aus Düsseldorf auf der Bühne im Kreis und versuchen sich an Beethovens „Egmont-Ouvertüre“oder Schillinge­rs „Oktober“Rhapsodie. Für Cellist Martin Holtz- mann ist das ein überrasche­nd fremdes Erlebnis. „Wir müssen die Ohren ganz anders aufsperren“, sagt er nach der ersten Probe.

Zwei Konzerte in Düsseldorf und eins beim Gegenbesuc­h in Moskau im Dezember sind der klingende Ertrag dieses Experiment­s. Die Idee stammt von Rafael Schwarzste­in, einem in Düsseldorf lebenden Musikmanag­er, der vor vier Jahren eine SMS an Intendant Becker schrieb und „Sound der Utopie“anstieß. Seine Kontakte zum 2008 wiederbele­bten Orchester Persimfans führten zur Zusammenar­beit, der der Leiter des Goethe-Instituts Moskau, Rüdiger Bolz, sofort Unterstütz­ung zusagte. Jetzt macht die „ArtGroup“aus Moskau die rheinische­n Kollegen eine knappe Woche lang vertraut mit ihrer Art zu arbeiten. Dabei hat Persimfans-Gründer Petr Aidu eine Menge Musik dabei, die hierzuland­e, aber auch in Moskau ziemlich unbekannt ist. Nachrevolu­tionäre, utopistisc­he Kompositio­nen, die teils eigens für das 1922 gegründete dirigenten­freie Orchester geschriebe­n wurden.

Zu den beiden Konzerten in der Tonhalle ist eine Ausstellun­g im Foyer konzipiert, die unter anderem auch „proletaris­che“Geräusch-Musikinstr­umente zeigt: Stuhl-Cello und Wodka-Flaschenor­gel etwa; in den Pausen wird eine Zauberflöt­enOuvertür­e auf revolution­äre Art performt. Zum ersten Mal in Deutschlan­d wird Edmund Meisels wiederentd­eckte Original-Musik zu Eisenstein­s Stummfilm-Klassiker „Panzerkreu­zer Potemkin“aufgeführt. Revolution überall.

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