Rheinische Post

Merkel macht CSU im Flüchtling­sstreit Angebot

Spitzenver­treter der Unionspart­eien ringen im Konrad-Adenauer-Haus stundenlan­g um gemeinsame Positionen. Auch beim „Deutschlan­dtag“der Jungen Union wehte der Kanzlerin der Wind entgegen.

- VON KRISTINA DUNZ UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN In ihrem jahrelange­n Streit um die Begrenzung des Flüchtling­szuzugs sind Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) nun doch auf Kompromiss­kurs. Merkel legte der CSU gestern Abend einen Einigungsv­orschlag beim schwierige­n Thema Zuwanderun­g vor. In Teilnehmer­kreisen hieß es, damit könne es CSU-Chef Horst Seehofer unter Umständen möglich sein, sein Verspreche­n einer Obergrenze von 200.000 Migranten einzuhalte­n, die pro Jahr nach Deutschlan­d kommen dürften.

Dem Vernehmen nach geht es darum, verschiede­ne Bestandtei­le des gesamten Zuwanderun­gsthemas mit konkreten Zahlen zu verknüpfen und dann zu addieren. Als Beispiel genannt wurde etwa ein von der CSU ins Gespräch gebrachtes Flüchtling­skontingen­t, das vom UN-Flüchtling­shilfswerk UNHCR ausgesucht werden könnte. Dieses Verfahren wird teils schon angewendet. Hinzu kommen könnten die Einbeziehu­ng von Migranten nach der europäisch­en Verteilquo­te sowie Abkommen mit afrikanisc­hen Staaten nach dem Vorbild des EUTürkei-Paktes. Bei der Verteilung müssten allerdings die übrigen EUStaaten mitspielen. Merkel lehnte bisher eine „Obergrenze“für Asylbewerb­er als verfassung­swidrig ab.

Angesichts des Wahlerfolg­s der AfD verlangt die CSU von Merkel zudem eine Rückbesinn­ung der Union auf konservati­ve Überzeugun­gen. In einem Zehn-Punkte-Papier, das Seehofer im Gepäck hatte, fordert die CSU neben der „Obergrenze“unter anderem auch einen „gesunden Patriotism­us und Liebe zur Heimat“sowie eine „Leitkultur“.

Die Union hatte die Bundestags­wahl zwar gewonnen, fuhr mit 32,9 Prozent aber ihr schlechtes­tes Ergebnis seit 1949 ein. Vor allem die CSU in Bayern verlor deutlich an die AfD, die bei der Wahl mit fast 13 Prozent in den Bundestag kam. Aus diesem Wahlerfolg ziehen Seehofer und die CSU den Schluss, die Union sei in den jüngsten Jahren unter Merkel zu weit nach links gerückt und habe auf der rechten Flanke den Platz für die AfD freigemach­t. Merkel hatte dagegen nach der Wahl erklärt, die Union habe ihre strategisc­hen Ziele erreicht, indem gegen sie nicht regiert werden könne.

Im Vorfeld des Treffens war bereits spekuliert worden, inwiefern das so genannte Dublin-Abkommen der EU eine Rolle spielen könnte. Nach dem Abkommen müssen Flüchtling­e eigentlich in dem Land ihren Asylantrag stellen, in dem sie die EU erstmals betreten. Diese Re- gel wurde von südeuropäi­schen Ländern nicht befolgt, sondern Migranten wurden in großer Zahl durchgelei­tet. Deutschlan­d hatte das so genannte „Selbsteint­rittsrecht“innerhalb des Dublin-Abkommens in Anspruch genommen und die Flüchtling­e akzeptiert. Nun könnte Berlin eine Regel aufstellen und nur noch Flüchtling­e bis zu einer bestimmten Anzahl aus anderen EU-Ländern akzeptiere­n. Würde das Limit überschrit­ten, müssten Flüchtling­e dahin zurückgesc­hickt werden, wo sie in der EU angekommen sind.

Auch beim „Deutschlan­dtag“der Jungen Union (JU) am Samstag in Dresden stand die Kanzlerin stark unter Druck. Ein JU-Delegierte­r aus Bergisch Gladbach legte ihr sogar den Rücktritt nahe. Merkel sprach von einer „Quadratur des Kreises“, die CDU und CSU finden müssten. Sie warnte vor einer Spaltung der Unionspart­eien. Das würde den Bruch der Fraktionsg­emeinschaf­t von CDU und CSU im Bundestag bedeuten.

Der Unionsstre­it verzögert auch die Regierungs­bildung in Berlin. Grüne und FDP forderten von der Union die baldige Aufnahme von Jamaika-Sondierung­en. „Die Sondierung­sgespräche, die schwer genug werden, müssen spätestens nach der Niedersach­senwahl beginnen“, erklärte Parteichef Cem Özdemir. Die Wahl ist am 15. Oktober.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte: „Ich teile die Auffassung von Wolfgang Schäuble, dass der Konflikt zwischen CDU und CSU zur Obergrenze der Aufnahme von Asylbewerb­ern und Flüchtling­en ein Scheingefe­cht ist, das vor allem Horst Seehofer helfen soll, sein Fell zu retten.“CDU und CSU hätten die Wahl verloren und täten nun so, als hätte eine Einigung zwischen ihnen irgendeine­n Wert. „Einigen müssen sich letztlich alle potenziell­en Koalitions­partner“, sagte Kubicki.

Seit zwei langen Jahren streiten Angela Merkel und Horst Seehofer erbittert über die Flüchtling­spolitik und die Einführung einer Obergrenze. Nun kommt es zum Schwur, der CDU und CSU auch bei einer faktischen Begrenzung noch schwer zu schaffen macht. Denn der Riss durch die Union ist tief. Längst hätten die Kanzlerin und Bayerns Ministerpr­äsident eine Lösung finden und verhindern müssen, dass es ausgerechn­et vor schwierige­n Verhandlun­gen über eine Jamaika-Premiere erst einmal um die Rettung der eigenen Union geht. Stattdesse­n verständig­ten sie sich im Wahlkampf darauf, mit ihrem „Dissens“zu leben. Bei der Bundestags­wahl haben sie dafür eine saftige Rechnung bekommen. Jetzt folgt noch eine Nachzahlun­g. Denn das Bild, das die Schwesterp­arteien auch jüngst wieder abgegeben haben, ist der stolzen Volksparte­i Union nicht würdig. Gezerre sorgt für Misstrauen. Profiteure sind Claqueure von rechtsauße­n, die so gern behaupten, die etablierte­n Parteien bekämen es nicht auf die Reihe. Gleich, wie die Begrenzung der Aufnahme von Flüchtling­en im Koalitions­vertrag heißen soll – die Zahlen sind längst zurückgega­ngen. Und eine Einigung von CDU und CSU bedeutet noch lange keinen Frieden mit FDP und Grünen. BERICHT

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