Merkel macht CSU im Flüchtlingsstreit Angebot
Spitzenvertreter der Unionsparteien ringen im Konrad-Adenauer-Haus stundenlang um gemeinsame Positionen. Auch beim „Deutschlandtag“der Jungen Union wehte der Kanzlerin der Wind entgegen.
BERLIN In ihrem jahrelangen Streit um die Begrenzung des Flüchtlingszuzugs sind Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) nun doch auf Kompromisskurs. Merkel legte der CSU gestern Abend einen Einigungsvorschlag beim schwierigen Thema Zuwanderung vor. In Teilnehmerkreisen hieß es, damit könne es CSU-Chef Horst Seehofer unter Umständen möglich sein, sein Versprechen einer Obergrenze von 200.000 Migranten einzuhalten, die pro Jahr nach Deutschland kommen dürften.
Dem Vernehmen nach geht es darum, verschiedene Bestandteile des gesamten Zuwanderungsthemas mit konkreten Zahlen zu verknüpfen und dann zu addieren. Als Beispiel genannt wurde etwa ein von der CSU ins Gespräch gebrachtes Flüchtlingskontingent, das vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ausgesucht werden könnte. Dieses Verfahren wird teils schon angewendet. Hinzu kommen könnten die Einbeziehung von Migranten nach der europäischen Verteilquote sowie Abkommen mit afrikanischen Staaten nach dem Vorbild des EUTürkei-Paktes. Bei der Verteilung müssten allerdings die übrigen EUStaaten mitspielen. Merkel lehnte bisher eine „Obergrenze“für Asylbewerber als verfassungswidrig ab.
Angesichts des Wahlerfolgs der AfD verlangt die CSU von Merkel zudem eine Rückbesinnung der Union auf konservative Überzeugungen. In einem Zehn-Punkte-Papier, das Seehofer im Gepäck hatte, fordert die CSU neben der „Obergrenze“unter anderem auch einen „gesunden Patriotismus und Liebe zur Heimat“sowie eine „Leitkultur“.
Die Union hatte die Bundestagswahl zwar gewonnen, fuhr mit 32,9 Prozent aber ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 ein. Vor allem die CSU in Bayern verlor deutlich an die AfD, die bei der Wahl mit fast 13 Prozent in den Bundestag kam. Aus diesem Wahlerfolg ziehen Seehofer und die CSU den Schluss, die Union sei in den jüngsten Jahren unter Merkel zu weit nach links gerückt und habe auf der rechten Flanke den Platz für die AfD freigemacht. Merkel hatte dagegen nach der Wahl erklärt, die Union habe ihre strategischen Ziele erreicht, indem gegen sie nicht regiert werden könne.
Im Vorfeld des Treffens war bereits spekuliert worden, inwiefern das so genannte Dublin-Abkommen der EU eine Rolle spielen könnte. Nach dem Abkommen müssen Flüchtlinge eigentlich in dem Land ihren Asylantrag stellen, in dem sie die EU erstmals betreten. Diese Re- gel wurde von südeuropäischen Ländern nicht befolgt, sondern Migranten wurden in großer Zahl durchgeleitet. Deutschland hatte das so genannte „Selbsteintrittsrecht“innerhalb des Dublin-Abkommens in Anspruch genommen und die Flüchtlinge akzeptiert. Nun könnte Berlin eine Regel aufstellen und nur noch Flüchtlinge bis zu einer bestimmten Anzahl aus anderen EU-Ländern akzeptieren. Würde das Limit überschritten, müssten Flüchtlinge dahin zurückgeschickt werden, wo sie in der EU angekommen sind.
Auch beim „Deutschlandtag“der Jungen Union (JU) am Samstag in Dresden stand die Kanzlerin stark unter Druck. Ein JU-Delegierter aus Bergisch Gladbach legte ihr sogar den Rücktritt nahe. Merkel sprach von einer „Quadratur des Kreises“, die CDU und CSU finden müssten. Sie warnte vor einer Spaltung der Unionsparteien. Das würde den Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Bundestag bedeuten.
Der Unionsstreit verzögert auch die Regierungsbildung in Berlin. Grüne und FDP forderten von der Union die baldige Aufnahme von Jamaika-Sondierungen. „Die Sondierungsgespräche, die schwer genug werden, müssen spätestens nach der Niedersachsenwahl beginnen“, erklärte Parteichef Cem Özdemir. Die Wahl ist am 15. Oktober.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte: „Ich teile die Auffassung von Wolfgang Schäuble, dass der Konflikt zwischen CDU und CSU zur Obergrenze der Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen ein Scheingefecht ist, das vor allem Horst Seehofer helfen soll, sein Fell zu retten.“CDU und CSU hätten die Wahl verloren und täten nun so, als hätte eine Einigung zwischen ihnen irgendeinen Wert. „Einigen müssen sich letztlich alle potenziellen Koalitionspartner“, sagte Kubicki.
Seit zwei langen Jahren streiten Angela Merkel und Horst Seehofer erbittert über die Flüchtlingspolitik und die Einführung einer Obergrenze. Nun kommt es zum Schwur, der CDU und CSU auch bei einer faktischen Begrenzung noch schwer zu schaffen macht. Denn der Riss durch die Union ist tief. Längst hätten die Kanzlerin und Bayerns Ministerpräsident eine Lösung finden und verhindern müssen, dass es ausgerechnet vor schwierigen Verhandlungen über eine Jamaika-Premiere erst einmal um die Rettung der eigenen Union geht. Stattdessen verständigten sie sich im Wahlkampf darauf, mit ihrem „Dissens“zu leben. Bei der Bundestagswahl haben sie dafür eine saftige Rechnung bekommen. Jetzt folgt noch eine Nachzahlung. Denn das Bild, das die Schwesterparteien auch jüngst wieder abgegeben haben, ist der stolzen Volkspartei Union nicht würdig. Gezerre sorgt für Misstrauen. Profiteure sind Claqueure von rechtsaußen, die so gern behaupten, die etablierten Parteien bekämen es nicht auf die Reihe. Gleich, wie die Begrenzung der Aufnahme von Flüchtlingen im Koalitionsvertrag heißen soll – die Zahlen sind längst zurückgegangen. Und eine Einigung von CDU und CSU bedeutet noch lange keinen Frieden mit FDP und Grünen. BERICHT