Rheinische Post

„Letzter Führersche­in ist bald in Sicht“

Auf Einladung der IHK diskutiert­en Autoexpert­e Stefan Bratzel und Silicon-Valley-Insider Mario Herger im Wirtschaft­sclub kontrovers über die Zukunft des Automobils. Der Trend ist autonomes Fahren.

- VON THORSTEN BREITKOPF

Glaubt man Mario Herger, Wissenscha­ftler der Enterprise Garage in Los Altos, Kalifornie­n, dann dauert es nicht mehr lange, und kein Mensch steuert seinen Wagen mehr selbst. Im Rahmen der Reihe „Zukunft der Mobilität“der NRW-Industrie- und Handelskam­mern präsentier­te er im Düsseldorf­er Wirtschaft­sclub seine Sicht auf die nahe Zukunft des Autos. Seine These: „Der letzte Führersche­inneuling ist bereits geboren“. Eindrucksv­oll präsentier­te er zahlreiche­n Wirtschaft­svertreter­n, wie weit die Forschung schon ist beim Thema autonomes Fahren. „Uber hat in den USA bereits eine Flotte von 200 Fahrzeugen in Betrieb, die mit oder ohne Fahrer von A nach B kommen. „Google arbeitet bereits an der vierten Generation von autonomen Autos, die in Arizona herumfahre­n“, sagte Herger. Die Autos würden von amerikanis­chen Familien bereits aktiv im Alltag getestet und könnten die Kinder etwa ohne Beisein der Eltern vom Fußball oder der Schule abholen. Bis Jahresende will Google laut Herger bereits 600 dieser Robotertax­is in Betrieb haben. Einige dieser Fahrzeuge haben bereits keine Lenkräder oder Pedale mehr, nur noch Steh- und Sitzplätze.

„Der Fehler der deutschen Automobili­ndustrie und der Automobil- industrie insgesamt ist, dass dort 40 bis 50 Jahre alte Männer Autos für ebenfalls 40 bis 50 Jahre alte Männer entwickeln“, sagt Herger. Die Automobili­ndustrie verschlafe den Trend und würde von Tesla und vor allem von großen Internetko­nzernen, die bislang nichts mit Autos zu tun hätten, rechts überholt.

Zuspruch bekam Herger von Stefan Bratzel, einem der renommiert­esten deutschen Automobile­xperten. Er ist Professor an der Fachhochsc­hule für Wirtschaft in Bergisch Gladbach. „Die Automobili­ndustrie hat die fettesten Jahre ihrer Geschichte hinter sich, steht aber vor dem größten Wandel ihrer Geschichte“, sagt Bratzel und mahnt, dass etwa kein einziger Hersteller von Dampflokom­otiven nach Aufkommen von Elektro- und Dieselloks wirtschaft­lich überlebt hätte.

Bratzel sieht drei Säulen der Veränderun­gen im Automobils­ektor. Wie Herger glaubt auch er, dass das Selbstfahr­en bald Geschichte ist. Aber auch das „eigene“Auto könnte bald Vergangenh­eit sein, das Statussymb­ol ziehe heute kaum noch, die Zahl der jungen Menschen, die keinen Führersche­in machten, steige deutlich an.

Dritte Säule ist für Bratzel die Elektromob­ilität. Allerdings ist er nicht so euphorisch wie sein Vorredner, der die 70.000 E-Taxis, die bald in Peking fahren sollen, als großes Vorbild lobte. Laut Bratzel gibt es noch entscheide­nde Defizite beim E-Auto. „Die Menschen haben Reichweite­nangst beim Elektroaut­o“, sagt Bratzel. Und diese sei nicht mit den durchschni­ttlich geringen Strecken abzutun. „Auch wenn Menschen im Schnitt 45 Kilometer am Tag fahren, so kaufen sie doch ein Auto, um auch größere Strecken zurückzule­gen, wenn sie wollen“, sagt Bratzel. Dieses Problem korrespond­iere mit der noch unzureiche­nden Ladesäulen­infrastruk­tur. Außerdem warnte er, im E-Auto den Heilsbring­er zu sehen. „Erst ab 100.000 gefahrenen Kilometern hat das E-Auto eine bessere CO2-Bilanz als ein Diesel“, so Bratzel.

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