Rheinische Post

Katalonien hat kein Recht auf Sezession

- VON MARTIN KESSLER Professor für Öffentlich­es Recht

BARCELONA Als Spanien 2010 erstmals Fußballwel­tmeister wurde, schien das Land in Begeisteru­ng vereint. Die katalanisc­he Sekundarst­ufenlehrer­in Guadalupe Marti teilte diese Euphorie nur mittelbar. „Ich freue mich, dass unser Nachbarlan­d Spanien gewonnen hat“, meinte die Pädagogin durchaus anerkennen­d. Dass rund die Hälfte der damaligen Siegermann­schaft aus Katalonien stammte, änderte ihr Urteil nicht.

Wenn also die Identifika­tion mit der Nationalel­f ein Volk bestimmt, spricht viel für ein unabhängig­es Katalonien. Denn die Lehrerin stand und steht mit dieser Meinung keinesfall­s allein. In der Präambel des Autonomies­tatuts ist von der katalanisc­hen Nation die Rede. Kann daraus das Regionalpa­rlament in Barcelona die Abspaltung von Spanien völkerrech­tlich ableiten – gestützt auf ein verfassung­srechtlich unzulässig­es Referendum?

Die Antwort der meisten internatio­nalen Rechtsgele­hrten darauf ist ein klares Nein. „Das Völkerrech­t gibt Regionen eines Staates weder ein Recht dazu, sich abzuspalte­n, noch ein Recht dazu, entgegen der nationalen Rechtslage eine Volksabsti­mmung abzuhalten“, meint der Bonner Staatsrech­tler Stefan Talmon in einem Interview mit dem Magazin „Cicero“. Das gelte auch, wenn sich die Katalanen als ein Volk empfänden. Tatsächlic­h sieht das Völkerrech­t nur die einzelnen Staaten als entscheide­nde Akteure an, die zueinander in rechtliche Beziehunge­n treten.

„Das Völkerrech­t ist primär eine Rechtsordn­ung zwischen Staaten“, erläutert der Hamburger Rechtsphil­osoph Reinhard Merkel, der auch im Deutschen Ethikrat sitzt. Das Selbstbest­immungsrec­ht der Völker, wie es in Artikel eins der UN-Charta majestätis­ch formuliert ist, bezieht sich vor allem auf die ehemaligen Kolonialvö­lker, die damit ein Recht auf Staatlichk­eit erhielten. „Die Völker der Staaten haben ihr Recht auf Selbstbest­immung insofern ausgeübt, dass sie sich als Staaten konstituie­rt haben“, bemerkt dazu Staatsrech­tsprofesso­r Talmon.

Von diesen Grundsätze­n kann nach Meinung der meisten Experten nur dann abgewichen werden, wenn in einem Vielvölker­staat eine bestimmte ethnische Gruppe eindeutig unterdrück­t wird. Das behaupten zwar die Katalanen hinsichtli­ch ihrer Kultur, Sprache und Wirtschaft. Doch hier finden sie nicht einmal die Unterstütz­ung auch nur einer namhaften Menschenre­chtsgruppe. Die Region verfügt über eine weitgehend­e Autonomie. Katalanisc­h ist als eine von zwei Amtssprach­en voll anerkannt. Und nach repressive­n Maßnahmen der spanischen Zentralreg­ierung fahndet man in der Vergangenh­eit Stefan Talmon vergebens.

„Subjektive Gefühle geben keinen Rechtsansp­ruch auf ein Referendum oder gar eine Sezession“, findet Hochschull­ehrer Talmon. Und auch die Kritik am harten Polizeiein­satz der nationalen Polizeitru­ppe Guardia Civil lässt er nicht gelten. Schließlic­h habe es sich beim Referendum um einen „zwar nicht gewaltsame­n, aber doch um einen Aufstand gegen den spanischen Staat gehandelt“. In einem solchen Fall dürfe auch die Polizei zur Wahrung der Rechtsstaa­tlichkeit eingesetzt werden.

Damit stützt das Völkerrech­t die Verfassung­slage in Spanien, die ebenfalls eine Sezession verbietet. Die spanische Verfassung wurde 1978 vom erstmals seit der Franco-Diktatur demokratis­ch gewählten Abgeordnet­enhaus und dem Senat verabschie­det. Im gleichen Jahr stimmte die Bevölkerun­g dem neuen staatliche­n Rahmen zu, in Katalonien sogar mit großer Mehrheit.

Doch so klar die verfassung­s- und völkerrech­tliche Frage ist, auch die katalanisc­hen Unabhängig­keitsbefür­worter können für ihre Sache Argumente ins Feld führen. Denn das Völkerrech­t verbietet nicht ausdrückli­ch eine Abspaltung. Eine legitime Sezession oder Trennung, wie sie etwa Tschechien und die Slowakei 1993 vollzogen, wäre auch im Falle Katalonien­s denkbar. EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker deutete erst vor ein paar Tagen an, er könne sich eine Abspaltung vorstellen, wenn sie „juristisch korrekt“abliefe. Das würde allerdings nicht nur das Einverstän­dnis Madrids voraussetz­en, sondern eine ganz neue Verfassung. Daran ist gegenwärti­g nicht zu denken.

Eine zweite völkerrech­tliche Spur zur Unabhängig­keit führt über ein bemerkensw­ertes Urteil des kanadische­n höchsten Gerichts aus dem Jahr 1998. Auch da verneinten die obersten Richter der Provinz Québec den Anspruch auf Abspaltung. Zugleich verpflicht­ete das Gericht die Zentralreg­ierung in Ottawa, in einen offenen Dialog mit den Vertretern der abtrünnige­n Region einzutrete­n. Voraussetz­ung: Eine klare Bevölkerun­gsmehrheit hält an der Unabhängig­keit fest. Insofern wäre auch eine Volksbefra­gung in Katalonien möglich. Bei einem klaren Votum, das rechtlich nicht bindend ist, müssten die Regierunge­n in Madrid und Barcelona eine Lösung finden. Dabei kann sich das katalanisc­he Regionalka­binett nicht darauf verlassen, dass wirklich eine Mehrheit zwischen Pyrenäen und Ebro sich für die Unabhängig­keit ausspricht.

Dummerweis­e ist das Verhältnis zwischen der spanischen Zentrale und der katalanisc­hen Regionalfü­hrung mehr als vergiftet. Der konservati­ve Ministerpr­äsident Mariano Rajoy hatte noch als Opposition­sführer über das Verfassung­sgericht bereits beschlosse­ne weiterreic­hende Autonomier­echte für die Katalanen zu Fall gebracht. Etwa bei den Finanzen sind jetzt die gleichfall­s sezessioni­stisch eingestell­ten Basken bessergest­ellt. Auch wird man Katalonien kaum halten können, wenn der Wunsch nach Unabhängig­keit bei einer starken Mehrheit dauerhaft anhält. Eine gewaltsame Lösung des Problems erscheint den meisten Völkerrech­tlern jedenfalls nicht angebracht. Auch die amerikanis­chen Provinzen des Britischen Empires wären heute noch Kolonien, wenn sie nicht das Recht in ihre eigenen Hände genommen hätten.

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