Rheinische Post

70.000 wollen Angehörige nach Deutschlan­d holen

Der Familienna­chzug für Flüchtling­e wird zum Knackpunkt der Jamaika-Gespräche. Es geht um sechsstell­ige Zahlen pro Jahr.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Eine Woche vor den ersten Sondierung­en zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen über eine neue Regierungs­koalition hat sich der Familienna­chzug von Flüchtling­en zum Symbolthem­a entwickelt, bei dem die möglichen Partner nachdrückl­ich in unterschie­dliche Richtungen drängen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das fortsetzt, was bis zum März 2018 beschlosse­n ist“, bekräftigt­e Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt. Bundesin- nenministe­r Thomas de Maizière (CDU) will jedoch genau das: Flüchtling­e, die lediglich subsidiäre­n Schutz erhalten haben, sollen auch nach März 2018 ihre Familien nicht nachholen können. Subsidiäre­n Schutz erhalten diejenigen, die eigentlich keine Bleibepers­pektive haben, aber vorerst nicht nach Hause müssen, weil ihnen dort Gefahren für Leib und Leben drohen. Wie etwa im syrischen Bürgerkrie­g.

Die CSU tritt beim Familienna­chzug ebenfalls auf die Bremse und nennt das als wichtige Bedingung der Flüchtling­spolitik einer neuen Regierung. Genauso stufen die Grünen Zugeständn­isse in ihre Richtung als „zentrale Frage“ein.

Tatsächlic­h geht es um sehr wahrnehmba­re Größenordn­ungen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e hat in den ersten drei Quartalen 3324 Menschen als Asylbewerb­er, 103.366 als Flüchtling­e und 86.121 als subsidiär Schutzbedü­rftige anerkannt. Nach einer Statistik des Auswärtige­n Amts haben allein 70.000 Syrer und Iraker Termine mit deutschen Stellen gemacht, um Visa für einen Familienna­chzug zu bekommen. Insgesamt bewilligte­n deutsche Diplomaten im Jahr 2015 70.000 Anträge, im letzten Jahr 100.000 und im ersten Halbjahr 2017 bereits 60.000. Für 2018 liegen ihre Schätzunge­n zwischen 100.000 und 200.000 – abhängig davon, ob die Einschränk­ungen des Familienna­chzugs weiter gelten oder auslaufen. CDU und CSU hatten sich auf eine Zielgröße von 200.000 für die gesamte Migration von Asylbewerb­ern, Flüchtling­en, Schutzbedü­rftigen und Nachzügler­n verständig­t. Bleibt die Flüchtling­sbewegung in den letzten Monaten 2017 auf dem Durchschni­ttsniveau der ersten neun Monate, wird am Ende die Zahl 186.000 stehen.

Subsidiäre­r Schutz wird grundsätzl­ich zunächst nur für ein Jahr gewährt und kann dann, wenn die Gründe fortbesteh­en, um jeweils zwei Jahre verlängert werden. Nach fünf Jahren gibt es die Niederlass­ungserlaub­nis, wenn der Betroffene ausreichen­d Deutsch spricht und seinen Lebensunte­rhalt sichern kann.

Für FDP-Parteivize Marie-Agnes Strack-Zimmermann kommt es darauf an, ob ein ernsthafte­r Wille zu einer Einigung auch in dieser Frage existiert, dann werde sich auch ein Weg finden. Und Grünen-Innenexper­te Konstantin von Notz erinnert daran: „Jamaika-Verhandlun­gen kann nur führen, wer an die Rationalit­ät und Vernunft der potenziell­en Koalitions­partner glaubt.“Das tue er, auch wenn CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt sich derzeit alle Mühe gebe, diesen Glauben zu erschütter­n.

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