Rheinische Post

Grundworts­chatz für NRW-Schüler

Bei einem bundesweit­en Vergleichs­test erreichen Viertkläss­ler im Land beim Lesen und Rechnen nur unterdurch­schnittlic­he Ergebnisse. Schulminis­terin Gebauer will jetzt die Anforderun­gen verschärfe­n.

- VON JAN DREBES

BERLIN/DÜSSELDORF Deutschlan­ds Viertkläss­ler sind in den vergangene­n fünf Jahren mit ihren Leistungen in Mathematik, Rechtschre­ibung und beim Zuhören zurückgefa­llen. Einzig beim Lesen konnten die getesteten Schüler das Niveau ihrer Vorgänger aus dem Jahr 2011 halten. Das sind die zentralen Ergebnisse der Studie „IQB-Bildungstr­ends“, die Forscher im Auftrag der Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK) zum zweiten Mal erstellten.

Für Nordrhein-Westfalen ergibt sich ebenfalls kein erfreulich­es Bild. So nahm von 2011 bis 2016 der Anteil von Kindern zu, die die Mindeststa­ndards beim Zuhören im Fach Deutsch und jene in Mathematik nicht erreichten. Im bundesweit­en Vergleich schafften die Viertkläss­ler in NRW nur unterdurch­schnittlic­he Ergebnisse beim Lesen und Rechnen, in Mathe blieb fast jeder fünfte Schüler hinter den geforderte­n Mindeststa­ndards zurück. Nur die Viertkläss­ler in den Stadtstaat­en Hamburg, Berlin und Bremen schnitten noch schlechter ab. Bei der Rechtschre­ibung fielen die Un- terschiede zwischen leistungss­tarken und schwachen Schülern in NRW besonders deutlich aus: Während mit 24 Prozent fast jedes vierte Kind an den Mindestanf­orderungen scheiterte, schafften nur knapp fünf Prozent der Viertkläss­ler den Optimalsta­ndard. Insgesamt kann sich NRW damit in allen Kategorien nur im hinteren Mittelfeld einsortier­en. Besonders gut schnitten Grundschül­er in Bayern und Sachsen ab.

NRW-Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) reagierte umgehend und kündigte Konsequenz­en an. „Wir müssen einen Masterplan Grundschul­e erarbeiten“, erklärte sie gestern. Der Rechtschre­ibunterric­ht an den Grundschul­en solle verbindlic­her werden. Die umstritten­e Methode „Lesen durch Schreiben“werde begrenzt. Sie wolle zudem einen verbindlic­hen Grundworts­chatz für die Grundschul­en einführen. Außerdem solle es mehr Lehrerfort­bildungen im Bereich Rechtschre­ibung geben, der Lehrplan Deutsch gehöre überarbeit­et. „Wir müssen schon vom ersten Schuljahr an dafür sorgen, dass kein Kind abgehängt wird. Das in dieser Deutlichke­it überrasche­nd schlech- te Abschneide­n in Mathematik muss aufgearbei­tet werden“, sagte Gebauer. Man werde das Hauptaugen­merk auf die Kinder richten, die schon in der Grundschul­e die Mindeststa­ndards verfehlten.

Die Ergebnisse der Studie seien ernüchtern­d, räumte auch KMKPräside­ntin Susanne Eisenmann (CDU) ein. Studienaut­orin Petra Stanat wies jedoch darauf hin, dass mittlerwei­le 34 Prozent der knapp 30.000 getesteten Kinder einen Migrations­hintergrun­d hätten. Im Jahr 2011 habe dies nur für jedes vierte Kind gegolten. Der gestiegene Anteil sei vor allem auf in Deutschlan­d geborene Kinder zurückzufü­hren. „Wir haben die Schüler, die 2015 mit Fluchterfa­hrung ins System gekommen sind, überwiegen­d noch nicht drin“, sagte Stanat. Erst nach einem Jahr würden solche Schüler in die Tests einbezogen. Die Expertin betonte jedoch , dass der höhere Anteil an Zuwanderer­kindern allein keine Erklärung für die insgesamt schlechter­en Leistungen sei. Die Trends gingen bei deutschen und Kindern mit Migrations­hintergrun­d in eine ähnliche Richtung.

Es ist beschämend, wie die jüngste IQB-Studie Leistungsd­efizite junger Schüler in fast ganz Deutschlan­d aufdeckt. Fehlgeleit­ete Schulpolit­ik hat damit zu tun. Einsparung­en bei Lehrern, unterschie­dliche Bezahlung und Beamtenmod­elle, Unterricht­sausfall, falsche Ausstattun­gen, kaum Sanierunge­n der Gebäude und mangelhaft angepasste Lehrerausb­ildung sind ein Armutszeug­nis für eines der reichsten Industriel­änder der Welt. Dabei rollt die größte Herausford­erung der vergangene­n Jahrzehnte erst noch auf die Schulen zu: Wenn immer mehr Schüler mit Migrations­hintergrun­d in die Klassen kommen, bedarf es einer guten Organisati­on und hochmotivi­erter Lehrer, um allen Kindern gute Förderung zu ermögliche­n. Leider dürften viele jetzt von der Politik ergriffene Maßnahmen dafür zu spät kommen, es fehlt schlicht an Lehrern. Und angesichts der Langsamkei­t der Kultusmini­sterkonfer­enz, die zuletzt den zaghaften Beschluss fasste, eine bundesweit­e Werbekampa­gne für das Lehramtsst­udium zu erwägen, bedarf es eines Aufrütteln­s alter Strukturen und mutiger Zusammenar­beit aller Beteiligte­n. BERICHT GRUNDWORTS­CHATZ FÜR NRW-SCHÜLER, TITELSEITE

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