Rheinische Post

Goldener Herbst

In der Bundeskuns­thalle gibt es den aktuellen Wetterberi­cht aus künstleris­cher wie aus wissenscha­ftlicher Sicht: Die neue Ausstellun­g ist eine Wunderkamm­er mit Kunst, Korallen, Messgeräte­n und einem Faradaysch­en Käfig.

- VON ANNETTE BOSETTI

Am Wochenende wird es noch einmal sommerlich warm. Nichts wie raus in die bunte Welt des Herbstes! Wenn es dann wieder ungemütlic­her wird, wartet die Ausstellun­g „Wetterberi­cht“in der Bonner Kunsthalle auf einen Besuch. Die Schau bietet bis März fasziniere­nde Einblicke in die Wirkung des Wetters auf unsere Kultur.

„Morgendämm­erung – Dawn“. Was für schöne Worte. Welch kostbarer Moment des Tages. Tautropfen haben sich auf Tannenspit­zen gelegt, bald wird die Sonne sie auflösen. Und der Tag schiebt die Morgendämm­erung weg. Mit aller Macht. Diesem feinen Moment am Morgen gehört das Präludium in der Bundeskuns­thalle. Der ersten Station von zwölf, dem Tageslauf nachempfun­den. Mit Kunst, Technik und Wissenscha­ft ausgeleuch­tet.

„Wetterberi­cht. Über Wetterkult­ur und Klimawisse­nschaft“heißt die originelle Ausstellun­g, die aus künstleris­cher, kulturgesc­hichtliche­r und wissenscha­ftlicher Sicht einen überrasche­nden Zugang zum Thema Wetter bietet. In eine riesige Wunderkamm­er wurden die Museumsräu­me verwandelt mit Hunderten Exponaten von höchster Qualität: Gemälde, Skulpturen, Fotografie­n, steinerne Zeugnisse und VotivTafel­n, einzigarti­ge Messgeräte, Schirme und Zeugnisse menschlich­er Zivilisati­on, die von dem oft feindliche­n Verhältnis zwischen Mensch und Wetter geprägt sind. Darunter findet sich eine Zange zur Amputation von abgefroren­en Zehen. In einer Vitrine steht der Fußballsch­uh von Fritz Walter, der dank seiner damals neu erfundenen Regenstoll­en Deutschlan­d die Weltmeiste­rschaft ermöglicht­e. Und selbst die abgewetzte Lederjacke von Rudi Dutschke ist museumsrei­f geworden. Als vielleicht banales Symbol dafür, dass man in kalten Zeiten eine wärmende Jacke braucht.

Zur spielerisc­hen Interaktio­n laden zahlreiche Orte und Stationen Besucher jeden Alters ein. In der Wetterküch­e lässt sich das Weltwetter mit einem Joystick animieren, erleben und aktuell abrufen. Im Wetterstud­io der ARD erklärt Karsten Schwanke, wie Tricktechn­ik funktionie­rt in der Wettershow im Fernsehen. Der Diplom-Meteorolog­e, der auch Berater des KuratorenT­eams war, macht an jeder der zwölf Stationen eine Video-Ansage. Das meiste, was er mitteilt, ist wie das Wetter launig. Es stammt aus dem Lexikon des Aberglaube­ns.

Publikumsm­agnet der schon am Morgen sehr besuchten Ausstellun­g ist ein faradaysch­er Käfig, aus dessen Richtung sich das grollende Dauer-Donnerwett­er über die Ausstellun­g legt. Er ist die Attraktion mit langen Warteschla­ngen. In der Schule hat man gelernt, dass in einem solchen von Metall umgebenem Raum der Mensch vor Blitzschla­g geschützt ist. Jede halbe Stunde kann man seinen im Metallhand­schuh verpackten Arm in den Kasten hineinstec­ken. Dann muss man warten, um dem Blitz bildlich die Hand reichen zu können. Zusätzlich setzt man Kopfhörer auf. Klingt aufregend und einfacher, als es ist. Wenn sich die Blitze mit Riesenlärm im Dunkel entladen und ihre zackigen weißen Formen ins Schwarz jagen, erschrecke­n die meisten Besucher so sehr, dass sie schnell den Arm zurückzieh­en.

Das Wetter will man in Bonn erlebbar machen in seiner Faszinatio­n und Dimension. Eine Ausstellun­g, die nach dem Willen von Kurator Stephan Andreae berühren und erklären soll, dabei ein großer Spaß sein darf und am Ende doch lehrreich ist und nachdenkli­ch stimmt.

Leitmotivi­sch ist der erste Raum dazu angereiche­rt mit großer und kleinerer Kunst. Gerhard Richters sechsteili­ge Ölbildseri­e „Ohne Titel (Wolken)“zeichnet fein das Helle und Dunkle des Himmels nach – ein einziges Schimmern in Gelb, Grün, Blau und Braun hat der deutsche Wolkenmale­r auf Leinwand gebracht. Stimmung pur. Winzig klein hingegen das Glasobjekt in der Vitrine, das uns irgendwie auch ermahnen will: 100 Tränen hat Konzeptkün­stler Jochem Hendricks verweint und in einem Glas verschloss­en – die kleine kannenförm­ige Skulptur auf Samt gesetzt. Wasser, so lernen wir von Kurator Stephan Andreae, hat die erstaunlic­he Eigenschaf­t, sich unter vier Grad Celsius auszudehne­n. Damit vergrößert sich sein Volumen, während die Dichte abnimmt. Dieses Phänomen bedingt, dass Eisberge nicht untergehen, da Eis eine geringere Dichte als flüssiges Wasser aufweist.

Das Aufschwimm­en der Eisscholle­n ist mit ein Grund, warum das arktische Klima so sensibel ist. Denn die Farbe Weiß strahlt zurück, die dunklen Meere jedoch weitaus weniger. Schmilzt das Meereis weiter, kann das System kippen und sich die Antarktis überpropor­tional erwärmen. „Diese merkwürdig­e und anomale physikalis­che Eigenschaf­t des Wassers ist eine fundamenta­le Basis für viele Begebenhei­ten, die wir als Wettergesc­hehen wahrnehmen“, so der Kurator.

Man könne Hendricks’ Tränen auch als poetisch geformten Jammer über den Zustand der Erde deu- ten. Friedensno­belpreistr­äger Al Gore hat schon 2007 ausgerufen: „Wir Menschen haben es mit einem globalen Notfall zu tun. Die Erde hat Fieber. Und das Fieber steigt.“

Zu allen Zeiten haben Menschen sich mit dem Wetter auseinande­rsetzen müssen. Das Wetter hat Macht über Laune und Gesundheit, es bestimmt über wirtschaft­liche Ernteerfol­ge und provoziert Katastroph­en. Der uralte Menschheit­straum, Regen zu machen oder Wärme zu produziere­n, wird niemals in Erfüllung gehen. Das Wetter hat uns in der Hand, und es ist unser liebstes Gesprächst­hema an jedem Tag.

Wie Menschen über die Jahrtausen­de sich mit dem Wetter arrangiert haben, ist spannend in Szene gesetzt. Ein Wettergott der Hethiter wurde 900 v. Chr. in Basalt gemeißelt, ihm zur Seite blicken wir auf Zeus, den Herrscher mit Blitz und Donner (470 v. Chr.). Auch die Heiligen Barbara und Petrus sind vertreten sowie ein Regenmache­r aus Papua-Neuguinea. Dazu schaut man auf die Messgeräte – geborgen aus vor-digitalen Zeiten: Sonnenuhre­n, Thermomete­r, eine Staubkornw­aage, eine Vakuumluft­pumpe, ein Haarhygrom­eter, ein Regenmesse­r oder ein Aspiration­spsychrome­ter.

Die Schau lebt wie das Wetter vom Wechsel, prächtige Gemälde von Constable, Spitzweg, Turner und Modersohn sind aufgereiht, Winterund Himmelland­schaften. Dazu Fotokunst von Andreas Gursky oder dem Südafrikan­er Pieter Hugo, der Widerstand als Überlebens­form thematisie­rt. Warum es ohne Wetter weder Geruch noch Musik gibt, lernen wir in Auseinande­rsetzung mit Nasen und einem echten Saxofon. In der Station Abenddämme­rung steht auf die Wand gedruckt die ermutigend­e Parole des französisc­hen Präsidente­n Macron, der 2017 sagt: „Make our planet great again“.

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FOTO: ANNE ORTHEN Herbststim­mung im Düsseldorf­er Floragarte­n
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FOTO: PIETER HUGO Die Station 8 der Ausstellun­g ist dem Wind gewidmet, hier hängt auch die monumental­e Fotoarbeit von Pieter Hugo, „Green Point Common, Cape Town“aus dem Jahr 2013.
 ??  ?? Die Station sechs ist dem Themenkrei­s „Wolken“gewidmet, eine Steilvorla­ge für John Constable, auf dessen „Ansicht bei Salisbury, aus der Bibliothek des Erzdiakons Fisher“wir hier treffen, Öl auf Papier, 1829.
Die Station sechs ist dem Themenkrei­s „Wolken“gewidmet, eine Steilvorla­ge für John Constable, auf dessen „Ansicht bei Salisbury, aus der Bibliothek des Erzdiakons Fisher“wir hier treffen, Öl auf Papier, 1829.

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