Rheinische Post

SPD gewinnt Wahl in Niedersach­sen

Der Sieg bei der Landtagswa­hl in Niedersach­sen ist der erste Wahlerfolg für die Sozialdemo­kraten in diesem Jahr. Das schlechte Abschneide­n der CDU schwächt Kanzlerin Angela Merkel bei den Verhandlun­gen über eine Jamaika-Koalition.

- VON MARTIN BEWERUNGE UND GREGOR MAYNTZ

HANNOVER/BERLIN Drei Wochen nach ihrer historisch­en Niederlage bei der Bundestags­wahl hat die SPD die Landtagswa­hl in Niedersach­sen spektakulä­r gewonnen. Die Sozialdemo­kraten unter Ministerpr­äsident Stephan Weil legten deutlich zu und werden erstmals seit 1998 wieder stärkste Kraft. Trotz der spürbaren Verluste der Grünen hat Rot-Grün die Chance auf eine hauchdünne Mehrheit. Die CDU mit Spitzenkan­didat Bernd Althusmann rutscht bei der vorgezogen­en Wahl auf ihr schlechtes­tes Ergebnis seit 1959 ab, nachdem sie in Umfragen lange klar geführt hatte. Die Wahlbeteil­igung stieg auf 63,0 bis 63,5 Prozent. 2013 lag sie bei 59,4 Prozent.

Sollte es für Rot-Grün nicht reichen, wären eine große Koalition aus SPD und CDU, ein AmpelBündn­is von SPD, FDP und Grünen sowie eine Jamaika-Koalition möglich. Über ein solches Bündnis von CDU, FDP und Grünen im Bund verhandelt Kanzlerin Angela Merkel ab Mitte der Woche in Berlin. Eine Ampel in Niedersach­sen schlossen sowohl FDP-Spitzenkan­didat Stefan Birkner als auch FDP-Chef Christian Lindner gestern Abend erneut aus. In Niedersach­sen gebe es keine „soziallibe­rale Tradition“, sagte Lindner.

Ursprüngli­ch sollte die Wahl im Januar 2018 stattfinde­n. Doch am 4. August war völlig überrasche­nd die Grünen-Abgeordnet­e Elke Twesten im Landtag zur CDU übergetret­en. Damit verlor die rot-grüne Koalition ihre knappe Ein-StimmenMeh­rheit, die viereinhal­b Jahre problemlos gehalten hatte. Twesten war verärgert darüber, dass es ihr in ihrem Wahlkreis nicht gelungen war, von den Grünen erneut als Direktkand­idatin aufgestell­t zu werden. Ministerpr­äsident Weil hatte daraufhin vorgeschla­gen, die Landtagswa­hl vorzuziehe­n.

In Hannover kündigte der Ministerpr­äsident gestern an, er wolle mit allen Landtagspa­rteien außer der AfD über mögliche Koalitione­n sprechen. Das Ergebnis bezeichnet­e er als „fulminante­n Erfolg“: „Wir können zum ersten Mal seit der letz- ten Landtagswa­hl mit Gerhard Schröder vor 19 Jahren wieder die stärkste Fraktion im Landtag werden, das ist großartig.“Aus seiner Sicht sorgte auch der Gang der Bundes-SPD in die Opposition für Rückenwind.

Der nach der Schlappe bei der Bundestags­wahl unter Druck stehende SPD-Chef Martin Schulz nannte den Wahlerfolg ermutigend für die ganze Partei. Schulz will sich trotz gescheiter­ter Kanzlerkan­didatur im Dezember zur Wiederwahl stellen und die SPD im Bund in die Opposition führen.

Althusmann machte den Bundestren­d der CDU mitverantw­ortlich für die Verluste seiner Partei: „Es war am Ende eher ein bisschen mehr Gegenwind.“Dennoch sah er einen Auftrag der Wähler zum Mitregiere­n: „Auch wir, in welcher Konstellat­ion auch immer, haben einen klaren Gestaltung­sauftrag für Niedersach­sen.“Dies ginge rechnerisc­h in einer Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen oder als Juniorpart­ner der SPD in einer großen Koalition.

Die FDP zeigte sich offen für Jamaika-Gespräche, die Grünen hielten sich bedeckt. „Ich appelliere an alle Parteien, dass wir jetzt keine Ausschließ­eritis machen“, sagte der Bundesvors­itzende Cem Özdemir. Sein Parteikoll­ege Jürgen Trittin befürchtet, dass die CDU-Pleite bei der Landtagswa­hl in Niedersach­sen auch die Verhandlun­gen über eine Jamaika-Koalition im Bund erschwert. „Es ist immer schwierig, mit geschwächt­en Partnern zu verhandeln“, sagte der Ex-Bundesumwe­ltminister.

CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer sprach von einem „erneuten Alarmsigna­l“für die gesamte Union: „Alle, die jetzt einen Sondierung­sausflug nach Jamaika ma- chen, tun gut daran, das Wahlergebn­is genau zu analysiere­n. Denn alle potenziell­en Jamaika-Partner haben verloren.“Scheuer warnte: „Ein in der Öffentlich­keit schnell hochgejube­ltes Jamaika-Bündnis sieht in der Realität an der Wahlurne ganz anders aus.“

Die AfD schaffte in Niedersach­sen knapp den Sprung in den Landtag und ist damit nun in 14 von 16 Landesparl­amenten vertreten. Ein Grund für das vergleichs­weise schwache Ergebnis dürften auch die andauernde­n Querelen im Landesverb­and gewesen sein. Parteichef Jörg Meuthen erklärte, der Fokus im Wahlkampf habe auf den großen Parteien gelegen.

Enttäuscht zeigte sich die Linke, die abermals an der Fünf-ProzentHür­de scheiterte. „Wir hätten mehr erwartet“, sagte Parteichef Bernd Riexinger in Berlin. Allerdings zeigten die Zugewinne: „Der Trend geht auch in den westdeutsc­hen Flächenlän­dern nach oben.“

Mögen die Umfragen Martin Schulz noch keinen Rückenwind für seine Entscheidu­ng geben, die SPD im Bund in die Opposition zu führen, das Niedersach­sen-Wahlergebn­is tut es umso mehr. Von zwölf Prozentpun­kten Rückstand auf die Union an ihr vorbei stärkste Partei zu werden: Das ist Balsam für die geschunden­e Seele der SPD. Nach der Abwahl der SPDRegieru­ngschefs in Kiel und Düsseldorf begründet die Aussicht auf eine Wiederwahl von Stephan Weil in Hannover das Gefühl einer Trendumkeh­r.

Das gilt andersheru­m für die Parteien, die sich im Bund um eine Jamaika-Koalition mühen. Union, Grüne und FDP haben noch nicht mit Sondierung­en begonnen, da zeigen die Daumen im ersten Stimmungst­est für alle nach unten. Das macht das Ringen um Richtung und Kompromiss­e noch schwerer.

Dass die konservati­ve Werteunion innerhalb der CDU bereits am Wahlabend einen Wechsel an der Spitze von Partei und Regierung forderte, zeigt, welche Debatten auf die Union zukommen. So wie die 1998er Niedersach­sen-Wahl den Anfang von Gerhard Schröders Kanzlersch­aft markierte, so lässt die 2017er Niedersach­sen-Wahl eine Ahnung vom Ende der Kanzlersch­aft Angela Merkels aufkommen. BERICHT

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Als glückliche­r Wahlsieger präsentier­te sich gestern Abend Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stefan Weil (SPD).
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