Rheinische Post

Warum günstige Wohnungen fehlen

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Der Markt für preiswerte­s Wohnen in NRW steuert auf ein Desaster zu. Seit Jahrzehnte­n reagiert die Landespoli­tik auf den dramatisch­en Mangel an preiswerte­m Wohnraum mit neuen Förderprog­rammen für den sozialen Wohnungsba­u. Die aktuellen Daten des NRW-Bauministe­riums belegen: Diese Politik kann den Bedarf bei Weitem nicht decken. Experten fordern neue Wege in der Wohnungsba­upolitik.

Anfang des Jahres sagte der damalige NRW-Bauministe­r Michael Groschek (SPD), was passieren müsste, um die Wohnungsno­t in NRW zu bekämpfen: Das Land brauche bis 2020 jedes Jahr 80.000 neue Wohnungen, davon 10.000 neue Sozialwohn­ungen.

Die Realität ist weit davon entfernt. Nach Angaben des Statistisc­hen Landesamte­s haben die NRW-Bauämter im ersten Halbjahr 2017 fast 17 Prozent weniger Wohnungen genehmigt als im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres – sie erteilten 26.156 Baugenehmi­gungen. Und das trotz historisch niedriger Bauzinsen.

Ähnlich dürftig ist die Entwicklun­g im besonders angespannt­en Segment der Sozialwohn­ungen, deren Bestand sich seit der Jahrtausen­dwende ohnehin schon halbiert hat: Im vergangene­n Jahr wurden in NRW 7621 öffentlich geförderte Mietwohnun­gen bewilligt. Auch diese Zahl liegt deutlich unter dem 10.000er Ziel – und ist doch beinahe schon ein Vorzeigewe­rt im Vergleich zu den Vorjahren: Seit der Jahrtausen­dwende pendelt die Zahl der bewilligte­n Sozialwohn­ungsprojek­te ansonsten zwischen 2999 (im Jahr 2012) und 6335 (im Jahr 2000).

Wobei der Begriff „Sozialwohn­ung“in die Irre führt. Er klingt nach Nischenseg­ment, nach einer Notversorg­ung für Ausnahmefä­lle. Das ist längst nicht mehr so. Weil die Mieten vor allem in den Ballungsrä­umen entlang der Rheinschie­ne und in Münster sich schon seit Jahren in immer neue, atemberaub­ende Höhen entwickeln, können sich dort auch Familien mit normalem Einkommen kaum noch adäquaten Wohnraum leisten. Früheren Angaben des Bauministe­riums zufolge hat in NRW rund jeder zweite Bürger Anspruch auf eine Sozialwohn­ung.

Denn der Anteil des Einkommens, den Durchschni­ttsverdien­er heute in den Ballungsrä­umen entlang der Rheinschie­ne und in wachsenden Städten wie Münster für Wohnkosten aufwenden müssen, ist enorm. Nach Berechnung­en des börsennoti­erten Düsseldorf­er Wohnungsko­nzerns LEG verschling­t der Wohnkosten­anteil in Düsseldorf im Schnitt 24,5 Prozent ihrer Kaufkraft, in Köln 24,1 Prozent und in Münster liegt er bei 23,3 Prozent. Im Durchschni­tt bedeutet dies, dass der Anteil bei den Normalverd­ienern noch deutlich höher liegt, würde man die Zahlen um die vermögende Spitze der Kundschaft bereinigen. Diese Berechnung hat noch nie jemand unternomme­n. Aber LEG-Chef Thomas Hegel ist sicher: „Mehrköpfig­e Haushalte, die weniger als 2500 Euro netto im Monat verdienen, haben in Städten wie Düsseldorf und Köln echte Probleme.“

Die Politik will den sozialen Wohnungsba­u schon seit Jahren mit üppigen Förderprog­rammen ankurbeln. Noch im vergangene­n Jahr stockte die damalige rot-grüne Landesregi­erung die Mittel um 800 Millionen auf 1,1 Milliarden Euro auf. In der Tat wurde NRW damit zum „Deutschen Meister 2016“beim sozialen Wohnungsba­u. Aber das nützt den Mietern wenig, wenn das Ergebnis die Zielvorgab­en weit verfehlt.

Die beiden wesentlich­en Ursachen für den dramatisch­en Mangel an günstigem Wohnraum kompensier­en die Fördermill­iarden offensicht­lich nicht: Gerade da, wo der Wohnraum ohnehin knapp ist, sind auch die Grundstück­spreise hoch. Hinzu kommen immer neue Auflagen wie die jüngste Energie- NRW gesamt sparverord­nung, die auch das Bauen selbst sehr verteuern. Alexander Rychter vom Verband der Wohnungs- und Immobilien­wirtschaft rechnet vor: „Ein Budget, mit dem man vor zehn Jahren noch zehn Wohnungen bauen konnte, reicht heute nur noch für 7,8.“Folge der hohen Kosten sind hohe Mieten. Wenn überhaupt investiere­n Bauherren inzwischen am liebsten im gehobenen und im Luxus-Segment. Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft im Auftrag der LEG schlägt ganz andere Wege im Kampf um günstigen Wohnraum vor: Systemwech­sel Anstatt den Bau von Sozialwohn­ungen zu fördern, sollen die Gemeinden Belegungsr­echte am freien Markt einkaufen. Damit können sie dem Vermieter im Gegenzug vorschreib­en, wer die Wohnung beziehen muss. Diese Methode kann sich einem wechselnde­n Bedarf besser anpassen als fertig gebaute Sozialwohn­ungen. Außerdem kann sie die Durchmisch­ung verschiede­ner Einkommens­schichten besser steuern als der soziale Wohnungsba­u, der zu Ghetto-Bildungen neigt. Stadtentwi­cklung Gerade im Ballungsra­um NRW liegen wachsende und schrumpfen­de Städte nah beinander. Mit einer gezielten Aufwertung in Verbindung mit einer besseren Verkehrsan­bindung sollten die preiswerte­ren, schrumpfen­den Städte gezielt zu Ausweichqu­artieren entwickelt werden. Intelligen­tere Nutzung Allein über den Ausbau von Dachgescho­ssen könnten laut der Studie eine Million zusätzlich­e Wohnungen geschaffen werden, weitere rund vier Millionen böten Potenzial für Untervermi­etungen. 1,3 Millionen Mieterhaus­halte leben der Studie zufolge immer noch in sehr großen Wohnungen, obwohl ihr Bedarf etwa nach dem Wegzug der Kinder gesunken ist und sie von einem Umzug in eine kleinere Wohnung finanziell profitiere­n würden. Die Studie schlägt den Kommunen vor, diese Potenziale mit aktiver Beratung und maßvollen finanziell­en Anreizen zu heben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany