Rheinische Post

11.000 Handy-Knöllchen im Monat

In NRW bleibt die Zahl der Verstöße gegen das Telefonver­bot hoch. Ab sofort gelten zwar schärfere Strafen, aber Experten zweifeln an der Wirkung. Die Industrie arbeitet an technische­n Lösungen.

- VON FLORIAN RINKE UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Verstöße gegen das Handy-Verbot am Steuer werden ab sofort härter geahndet. Wer während der Fahrt zum Smartphone greift oder sich das Mobiltelef­on ans Ohr hält, muss statt 60 Euro nun mindestens 100 Euro Bußgeld bezahlen. Hinzu kommt wie schon bisher ein Punkt in der Flensburge­r Verkehrssü­nderdatei. Im Fall einer Sachbeschä­digung drohen sogar 200 Euro Bußgeld, zwei Punkte und ein Monat Fahrverbot. Darüber hinaus wird jetzt auch die Bedienung von Laptops, Tablets sowie von Navigation­sgeräten ohne Sprachsteu­erung während der Fahrt bestraft.

Nordrhein-Westfalens Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) begrüßte die Gesetzesve­rschärfung­en, die der Bundesrat bereits im September beschlosse­n hatte. „Keine WhatsappNa­chricht ist es wert, das eigene und das Leben anderer zu gefährden“, sagte Reul. Die hohe Zahl der Verstöße gegen das Verbot und die rasante technische Entwicklun­g bei Smartphone­s hätten die Gesetzesve­rschärfung unumgängli­ch gemacht. Daneben sei aber auch Prävention­sarbeit wichtig. Nach Angaben des Innenminis­teriums zählte die Polizei allein im September 10.642 Verstöße gegen das HandyVerbo­t in Nordrhein-Westfalen, davon 1723 durch Fahrradfah­rer. Im August waren es 11.606 und im Juli 11.526 Fälle.

Die Düsseldorf­er Autobahnpo­lizei erwischte am Mittwoch bei einer Schwerpunk­tkontrolle auf der Autobahn 57 innerhalb von zwei Stunden 66 Verkehrste­ilnehmer, die ihr Handy während der Fahrt nutzten. „Auffallend war dabei, dass 58 Fahrer nicht telefonier­ten, sondern das Telefon durch Tippen auf der Tastatur bedienten“, sagte ein Sprecher. „Insbesonde­re bei Staulagen oder im Stop-and-go-Verkehr auf Autobahnen ist das sehr gefährlich.“Eine Beispielre­chnung illustrier­t das: Ein Autofahrer legt bei einer Geschwindi­gkeit von 50 Kilometern pro Stunde, wen er nur zwei Sekunden aufs Handy schaut, knapp 30 Meter im „Blindflug“zurück.

Verkehrsex­perten warnen jedoch, dass die höheren Geldstrafe­n allein nicht ausreichen. „Das schreckt nicht ab. Das Handy am Steuer hat das Fahren unter Alkoholein­fluss als Gefahrenqu­elle Nummer eins abgelöst“, sagte ADAC-Verkehrsex­perte Markus Langlitz. „Die Prävention muss daher deutlich verbessert werden. Den Menschen muss klar werden, dass die Ablenkung hinterm Steuer brandgefäh­rlich ist. Leider ändern viele erst ihre Einstellun­g, wenn es zu spät ist“, sagte er. Auch die stellvertr­etende Vorsitzend­e der SPD-Landtagsfr­aktion, Sarah Philipp, betonte, dass Aufklärung der wirksamste Weg zur Vermeidung von Unfällen und für mehr Verkehrssi­cherheit sei.

Die Industrie setzt unterdesse­n auf technische Lösungen. Das neue Betriebssy­stem von Apples iPhone zum Beispiel erkennt anhand von Bewegungen und Netzwerkin­formatione­n, ob sich sein Nutzer im Auto befindet – und bietet ihm dann die Funktion „Beim Fahren nicht stören“an. Die Autoherste­ller arbeiten gleichzeit­ig an einer besseren Verbindung von Fahrzeug und Smartphone über die Freisprech­anlage. Bei BMW lassen sich beispielsw­eise auch E-Mails per Spracheing­abe erstellen oder Termine ändern, auch die Verwendung von Nachrichte­n-Apps ist bei Hersteller­n wie Audi längst möglich.

Der Düsseldorf­er Verkehrsre­chtler Joachim Zimmermann rät indes Autofahrer­n, die wegen eines Handyverst­oßes von der Polizei angehalten werden, von ihrem Schweigere­cht Gebrauch machen. „Polizisten unterstell­en bei Verkehrsve­rstößen Autofahrer­n gerne, dass sie durch die Nutzung ihres Handys abgelenkt waren“, sagte der Rechtsanwa­lt. „Freiwillig aushändige­n sollte man das Handy auf keinen Fall. Der Beschlagna­hme durch die Polizei sollte man immer widersprec­hen“, betonte Zimmermann.

BRÜSSEL/PARIS Zum Herbstgipf­el der EU-Staats- und Regierungs­chefs in Brüssel, der heute endet, ist ungewöhnli­ch viel Wind im europäisch­en Haus. Dahinter steckt vor allem der neue französisc­he Präsident Emmanuel Macron, der in die Rolle des Antreibers geschlüpft ist. Ein Feuerwerk der Reformidee­n nach dem anderen brennt er über der Gemeinscha­ft ab. Wenn es nach Macron geht, müssen in Europa radikale Änderungen her. Er redet von einer „Neugründun­g“der EU. In Brüssel geht ihm alles zu langsam, die Union liefert ihm zu wenig. „Das Europa, das wir kennen, ist zu schwach, zu langsam, zu ineffizien­t“, kritisiert­e Macron zwei Tage nach der Bundestags­wahl in seiner Europa-Rede an der Sorbonne.

Das Thema steht heute Morgen beim Frühstück auf dem Programm des EUGipfels. Bei Kaffee und Croissants sprechen die EU-Staats- und -Regierungs­chefs über Macrons Reformplän­e. Viel kann der französisc­he Präsident allerdings vom Brüsseler Gipfel nicht zu seiner Initiative erwarten, denn mit Deutschlan­d und Österreich sitzen zwei Länder am Tisch, die nach Parlaments­wahlen noch keine neue Regierung haben. FDP-Chef Christian Lindner warnte bereits vor Festlegung­en in Brüssel. „Deutschlan­d ist gegenwärti­g nicht entscheidu­ngsfähig“, mahnte er.

Im Klartext heißt das, dass die Vorschläge Macrons wohl erst einmal auf die lange Bank geschoben werden. Dabei hat sein Einsatz für eine Aufbruchss­timmung gesorgt, die dem Gemeinscha­ftsprojekt guttut. Macrons Impulse kommen auch zur richtigen Zeit: Angesichts der offensicht­lich negativen Zukunftsau­ssichten für den EU-Aussteiger Großbritan­nien ist das Bewusstsei­n unter den verbleiben­den Mitglieder­n des Clubs gestiegen, dass die Herausford­erungen der Globalisie­rung besser gemeinsam zu meistern sind.

Macrons Ehrgeiz ist aber auch gefährlich, denn er könnte zu einer Vertiefung der Spaltung Europas führen, die jetzt schon viele wichtige Entscheidu­ngen blockiert. Mit seiner Vision für die Zukunft der EU eckt er vor allem in Osteuropa an. Und auch jene Länder, die nicht im Euro sind, befürchten, abgehängt zu werden, wenn seine Vorstellun­gen zu einer Vertiefung der Währungsun­ion umgesetzt würden. Zudem hat sich bei den Wahlen in Deutschlan­d und Österreich gezeigt, dass der Rechtspopu­lismus keineswegs entzaubert ist. Das von Macron angeregte Verlagern zusätzlich­er Kompetenze­n aus den Nationalst­aaten wird wohl nicht nur in Warschau und Budapest, sondern auch in Wien und anderswo auf erbitterte­n Widerstand stoßen.

Es ist darüber hinaus offensicht­lich, dass der Reformeife­r des jungen französisc­hen Präsidente­n nicht nur in Polen, Tschechien oder Ungarn als zu ungestüm und zu unkoordini­ert begriffen wird. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel liegt ein pragmatisc­her, realpoliti­scher Ansatz näher. So gab sie dem Gastgeber des Brüsseler Gipfels, EURatspräs­ident Donald Tusk, den Auftrag, denkbare und machbare Reformschr­itte zu identifizi­eren und in einen Kalender einzutrage­n. Tusk, der in der EU-Familie die Rolle des Vermittler­s hat, hatte sich vor dem Gipfel in den Hauptstädt­en umgehört. Er begreift es seither als seinen Auftrag, Macrons Sturm und Drang zu bremsen.

Dies ist etwa daran zu erkennen, dass Tusk die verblieben­en Mitglieder beschwört, sich darauf zu konzentrie­ren, „praktische Lösungen“zu finden für „echte Probleme“. Tusk hat ein gutes Händchen für die richtige Formulieru­ng. So beschreibt er treffend die Herausford­erung, vor der die Union gerade steht: Es gelte, den Gedanken der Einheit und des Zusammenha­lts unter den Mitgliedst­aaten der Union mit dem Wunsch nach einer neuen Dynamik zu versöhnen. Es ist das alte Dilemma ei

„Es ist im tiefsten deutschen Interesse, dass Macron nicht scheitert“Dominik Grillmayer Deutsch-Französisc­hes Institut Ludwigsbur­g

ner EU der verschiede­nen Geschwindi­gkeiten. Das Konzept erlaubt es zwar einigen Ländern, schneller voranzugeh­en, droht aber zugleich, die anderen abzuhängen, und ist daher potenziell Gift für die Kohäsion der EU.

In dieser Lage fehlt schmerzhaf­t Berlin. Viele Partner in der EU warten sehnsüchti­g darauf, dass der deutschfra­nzösische Reformmoto­r endlich anspringt. Mit dem leidenscha­ftlichen Macron und der abgeklärte­n Merkel an der Spitze der beiden wichtigste­n Länder wären die besten Voraussetz­ungen dafür gegeben, dass der Aufbruch auch glückt. Doch die Bundeskanz­lerin hat dafür noch kein Mandat. Als geschäftsf­ührende Regierungs­chefin kann sie keine Festlegung­en in Brüssel machen, die ihre mutmaßlich­en Partner in der nächsten Regierung binden würden. Nicht nur FDP-Chef Lindner erinnert sie daran immer wieder.

Dabei sind unter Macrons Vorschläge­n einige, die auch Merkel nicht passen. Zum Beispiel seine Forderung nach einem eigenen Budget für die Eurozone, einem Finanzmini­ster und einem Parlament, das den Haushalt kontrollie­rt. Das führte vor allem auch in Deutschlan­d zu erregten Debatten. „Man hat sich auf die Frage der Finanzieru­ng eines Budgets der Eurozone eingeschos­sen, statt das Gesamtkonz­ept zu betrachten“, kritisiert Dominik Grillmayer vom Deutsch-Französisc­hen Institut in Ludwigsbur­g. Dennoch ist er zuversicht­lich, dass von deutscher Seite Kompromiss­bereitscha­ft besteht: „Es ist im tiefsten deutschen Interesse, Macron nicht scheitern zu sehen.“

Das Fenster für Reformen, die die EU voranbring­en, ist jetzt offen. Es darf nicht wegen einer zu langen Lähmung der Regierungs­geschäfte in Berlin zugeschlag­en werden. Es ist höchste Zeit, dass Union, FDP und Grüne die Reformvors­chläge von Macron, aber auch von EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker daraufhin abklopfen, wo sie im Einklang mit deutschen Interessen sind. Es reicht nicht, jetzt zu allem Nein zu sagen. Macron braucht schnell eine Antwort aus Berlin.

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