Rheinische Post

Jüdische Gemeinde verleiht Medaillen

Richter Jan-Robert von Renesse und der Verein Heimatsuch­er, der das Leben von Shoah-Überlebend­en dokumentie­rt, sind die neuen Träger der Josef-Neuberger-Medaille. Gestern Abend wurden sie geehrt.

- VON JÖRG JANSSEN

Daran, wie alles begann, erinnert sich Katharina Spirawski von den Heimatsuch­ern noch genau. „Während des Studiums in Düsseldorf schauten sich meine Mitstreite­rinnen eine TV-Dokumentat­ion über die oft lebenslang­en Brüche jener an, die den Holocaust überlebt hatten. Die Idee, selbst solche Menschen zu befragen, war geboren“, sagt die 29-jährige.

Das war vor sieben Jahren. Seitdem besuchen die inzwischen rund 200 Aktiven des Vereins Überlebend­e. 27 haben sie bislang getroffen, zunächst in Israel, später auch in Deutschlan­d. Dokumentat­ionen, ein Film und eine Wanderauss­tellung, die inzwischen 18.000 Menschen besucht haben, folgten. „Einige Interviewp­artner sind verstorben, andere mit über 90 Jahren so schwach, dass sie nicht mehr öffentlich auftreten. In ihrem Namen gehen wir in Schulen, machen über die Erzählunge­n dieser Überlebend­en als ,Zweitzeuge­n’ Geschichte für junge Menschen erfahrbar“, sagt Spirawski. Carina Gödecke, Vizepräsid­entin des NRW-Landtags, würdigte das Engagement mit Worten, die so treffend waren, dass die Preisträge­rinnen zu Tränen gerührt waren. „Es gibt nur eine Rasse Mensch“, zitierte die Politikeri­n aus dem Brief eines Schülers.

Eingesetzt für die Überlebend­en der Nazi-Herrschaft in Europa hat sich auch der zweite Preisträge­r. Als Richter am Sozialgeri­cht setzte sich Jan-Robert von Renesse für die Rentenzahl­ungen von Zwangsarbe­itern in Ghettos ein. Dass der größte Teil der Anträge dieser Opfer negativ beschieden wurde, weil meist nur Akten und Formulare aus der Zeit des Krieges herangezog­en wurden, empfindet der Jurist bis heute als „neues Unrecht in deutschem Namen“. Als zuständige­r Richter änderte er die Vorgehensw­eise, ließ die Betroffene­n selbst zu Wort kommen, fuhr sogar nach Israel, um mit ihnen zusprechen. Die Zahl derer, denen eine Rente bewilligt wurde, stieg damals in seinem Beritt von vier auf rund 60 Prozent.

Als der Richter, den Justizhist­oriker Ingo Müller gestern für seinen Mut und seine Konsequenz würdigte, seine Kritik in Briefen und einer Petition an den Bundestag öffentlich machte, kam es zum Konflikt mit dem damaligen NRW-Justizmini­ster Thomas Kutschaty. Das Land verklagte ihn wegen Rufschädig­ung der Sozialgeri­chtsbarkei­t, ein Disziplina­rverfahren, das mit Schweigeve­rpflichtun­gen – zumindest vorläufig – endete, schloss sich an. „Peinlich“nannte Laudator Müller das Vorgehen des Landes.

Erfolgreic­h im Sinne der Betroffene­n war von Renesses Arbeit trotzdem. Etwas später änderte das Bundessozi­algericht die Verfahrens­regeln. Die Anerkennun­gsquote stieg danach für die, die noch lebten, auf mehr als 90 Prozent.

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