Rheinische Post

Fahnder aus dem Fernsehstu­dio

Heute vor 50 Jahren ging die Sendung „Aktenzeich­en XY . . . ungelöst“zum ersten Mal auf Sendung. Moderator Eduard Zimmermann schrieb damit Fernsehges­chichte.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Am 20. Oktober 1967 ging Moderator Eduard Zimmermann zum ersten Mal mit „Aktenzeich­en XY... ungelöst“auf Verbrecher­suche. Mehr als 4500 Kriminalfä­lle wurden bis heute vorgestell­t – 2319 Straftäter konnten festgenomm­en werden.

MAINZ Für Jugendlich­e war „Aktenzeich­en XY ... ungelöst“in den 60ern und 70ern so eine Art trojanisch­es Pferd – die Sendung lieferte ordentlich­en Grusel, verpackt in den hehren Kampf gegen das Verbrechen, was viele Eltern wohl als pädagogisc­h wertvoll erachteten. So durften Heranwachs­ende zusehen, wie zur besten Sendezeit in hölzernen Einspielfi­lmen Axtmörder, Serienverg­ewaltiger und Kidnapper ihr Unwesen trieben und dabei entkamen. Was den Schauder noch verstärkte. „Neid, Missgunst und Habgier schlafen nicht“, schärfte Moderator Eduard Zimmermann seinen Zuschauern ein, und schaltete am

„Du kannst nicht sagen, das hat sich ein kreativer Drehbuchau­tor ausgedacht. Es ist passiert.“Rudi Cerne

Ende um zu seinen Kollegen Konrad Tönz aus der Schweiz und Peter Nidetzky aus Österreich in der Hoffnung auf erste Fahndungsg­erfolge. Auf den Tag genau 50 Jahre ist das heute her – mehr als 40 Prozent der Fälle wurden in dieser Zeit mit Hilfe der Zuschauer gelöst.

„Den Bildschirm zur Verbrechen­sbekämpfun­g einzusetze­n, das, meine Damen und Herren, ist der Sinn unserer neuen Sendereihe“, erklärte Zimmermann, der später halb bewundernd, halb spöttisch „Ganoven-Ede“genannt wurde, dem Publikum am 20. Oktober 1967. Sachdienli­che Hinweise konnte das Publikum über eine Hotline abgeben, oder, so die Bitte, via Telegrafie, sofern ein Fernschrei­ber im Hause sei. Außerdem könne man die Verdächtig­en vom Bildschirm abfotograf­ieren, empfahl Zimmermann. „Es könnte ja immerhin sein, dass Ihnen morgen der ein oder andere der Gesuchten über den Weg läuft.“Kein Wunder, dass die Sendung ein Erfolg wurde.

In Spitzenzei­ten sahen bis zu 18 Millionen Menschen zu. Für die Fälle bedeutete das eine ungeheure Aufmerksam­keit, für die Gesuchten oft das Ende ihrer Flucht. Eduard Zimmermann moderierte seine Sendung 30 Jahre lang – und bekam dafür auch Kritik. Nicht nur für seinen, gelinde gesagt, trockenen Moderation­sstil, der zu Parodien geradezu auffordert­e („Aktenzeich­en XY ... eingedöst“). Zuschauer würden aufgeforde­rt, andere Menschen zu denunziere­n, hieß es. Auch die Einspielfi­lme, in denen bis heute Verbrechen nachgestel­lt werden, lehnten manche ab. Zu realistisc­h, zu voyeuristi­sch, fanden sie, ein Wegbereite­r des Reality TV. „Zugegebene­rmaßen haben wir als Erste über die Verbrechen­s-Realität berichtet. Somit haben wir unbewusst und ungewollt zur Entwicklun­g beigetrage­n“, sagt Zimmermann bei seinem Abschied 1997. „Aber mit anderen TV-Sendungen, die später folgten, sind wir nicht zu vergleiche­n.“Der Moderator, der 1976 den Opferhilfe-Verein „Weißer Ring“ins Leben rief, wurde für sein Engagement vielfach geehrt.

Eine „außerorden­tliche Relevanz“bescheinig­t Rudi Cerne, seit 2002 Moderator von „Aktenzeich­en XY ... ungelöst“, dem Format heute noch. Bei diesem „Flaggschif­f der deutschen Fernsehlan­dschaft“habe man zwar an einzelnen Stellschra­uben gedreht, den Ursprung jedoch nie verändert. In der Tat würden die Filme oft leichten Grusel hervorrufe­n, allerdings nicht, weil sie ungefilter­te Gewalt zeigen würden. Unheimlich sind sie, weil die Straftaten real sind, vorgetrage­n von Ermittlern, für die die Tätersuche via Fernsehen mitunter die letzte Hoffnung auf eine Klärung des Falles ist. „Du kannst nicht sagen, das hat sich ein kreativer Drehbuchau­tor ausgedacht. Nein, es ist wirklich passiert“, erklärt Cerne.

Etliche Schauspiel­er absolviert­en am Anfang ihrer Karriere bei „Aktenzeich­en XY“einen kleinen Auftritt – Heiner Lauterbach etwa als Überfallop­fer und Christine Neubauer als Freundin eines Mordopfers. Allerdings konnte das Mitwirken in einem Einspielfi­lm auch Probleme verursache­n. Am 19. April 2012 wurde Aaron Defant im Zusammenha­ng mit einem XY-Fall von der Polizei kontrollie­rt. Schnell stellte sich aber heraus, dass der Schauspiel­er den gesuchten Juwelendie­b lediglich für die Sendung verkörpert hatte. Übrigens gab es die Filmchen in harmlosere­r Version, auch in einer Sendung von Eduard Zimmermann. „Vorsicht Falle!“hieß die und warnte vor „Neppern, Schleppern und Bauernfäng­ern“. Aber das ist eine andere Geschichte.

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