Rheinische Post

Warum Kölns Trainer Peter Stöger auch nach dem 0:0 gegen Bremen einen Rücktritt ausschließ­t.

Der Streit um eine Begrenzung des Flüchtling­szuzugs lenke nur von den wahren Gründen der Migration ab, findet der Kölner Erzbischof. Er fordert ein Einwanderu­ngsgesetz.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

KÖLN Die katholisch­e Kirche hierzuland­e gehört zu denen, die mit Nachdruck und Vehemenz auf das Leid und Schicksal der Flüchtling­e aufmerksam machen. Im vergangene­n Jahr ließ der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki (61) sogar ein Flüchtling­sboot in der Kapelle der Barmherzig­keit des Kölner Doms als Mahnmal aufstellen. Danach ging das Schiff auf Reisen durch das gesamte Erzbistum. Herr Kardinal, markieren die neuen Diskussion­en über die Aufnahme von Flüchtling­en in Deutschlan­d einen Stimmungsw­andel in der Bevölkerun­g, oder sind sie den Koalitions­verhandlun­gen geschuldet? WOELKI Zunächst einmal müssen wir ja positiv festhalten, dass keine starre Obergrenze beschlosse­n wurde. Und dass nach wie vor ein politische­r Konsens darin besteht, dass keine Schutzsuch­enden an der Grenze zurückgewi­esen werden sollen. Und die Debatte um eine Obergrenze? WOELKI Das ist vor diesem Hintergrun­d nur eine Scheindisk­ussion, die kein einziges Problem löst und die auch nur ablenkt von den wahren Gründen von Flucht und Migration. Nach unserem Grundgeset­z darf überhaupt keine Obergrenze eingeführt werden. Genau darum muss es – wie wir immer wieder fordern – neben dem Recht auf Asyl auch eine legale Einwanderu­ng geben. Es muss also endlich ein Einwanderu­ngsgesetz her. Und diesem Problem vor allem müssen die politische­n Parteien sich jetzt stellen. Die Stimmung im Land, also in der Bevölkerun­g, hat sich Ihrer Meinung nach demnach nicht gewandelt?

WOELKI Ich habe schon den Eindruck, dass die Stimmung sich teilweise gedreht hat. Und dass die Sorge bei manchen Menschen vor einer möglichen Überfremdu­ng besteht. Aber angesichts der Zahlen von Flüchtling­en, die tatsächlic­h zu uns gekommen sind, kann man dieser Sorge die berechtigt­e und begründete Hoffnung entgegense­tzen, dass Deutschlan­d die Herausford­erung meistert. Allerdings habe ich auch den Eindruck, dass genau diese Sorge von bestimmter politische­r Seite instrument­alisiert wird. Es werden Angstgefüh­le geschürt; die Menschen sollen glauben gemacht werden, dass es nicht für alle reicht und uns ein Stück unseres Wohlstande­s genommen werde. Wir dürfen aber auf keinen Fall in eine Neiddebatt­e eintreten. Welche Bedeutung haben dabei die Verhandlun­gen über das gemeinsame europäisch­e Asylsystem, die derzeit in Brüssel geführt werden? WOELKI Eine ganz entscheide­nde! In Brüssel wird gerade über grundlegen­de Änderungen des gemeinsa- men europäisch­en Asylsystem­s diskutiert. Viele der vorgeschla­genen Regelungen hätten gravierend­e Auswirkung­en auf die nationalen Asylsystem­e. Der Zugang zu einem Asylverfah­ren innerhalb der EU soll erheblich erschwert werden. Zunächst soll nämlich geprüft werden, ob nicht ein anderer Staat für die Schutzgewä­hrung zuständig sein könnte. Hierbei wird auch darüber nachgedach­t, die Kriterien für einen sicheren Drittstaat derart aufzuweich­en, dass viele Schutzsuch­ende in der EU überhaupt keinen Antrag auf Asyl mehr stellen könnten. Diese europäisch­e und in gewisser Weise globale Dimension des Flüchtling­sschutzes muss von den Partnern einer künftigen Regierungs­koalition unbedingt berücksich­tigt werden, bevor auf europäisch­er Ebene Fakten geschaffen werden. Eine andere politische Debatte ist jene um den Familienna­chzug von Flüchtling­en … WOELKI … für beide großen Kirchen in Deutschlan­d ist die Familie ein sehr hohes Gut, das es zu schützen gilt. Die Familien sind ja gerade der Raum, in dem Vertrauen wächst und in dem dauerhaft Verantwort­ung auch für die anderen übernommen wird. Dass ausgerechn­et der Familienna­chzug zu subsidiär Schutzbere­chtigten jetzt ausgesetzt wird, erschwert die Integratio­n der Betroffene­n in unserer Gesellscha­ft enorm. Das Leben der bereits Zugezogene­n wir dann nämlich überwiegen­d von der Sorge um ihre Familie in An- spruch genommen. Wer sich um seine Angehörige­n sorgt, hat den Kopf nicht frei, Deutsch zu lernen. Spracherwe­rb und Arbeitspla­tzsuche sind dann oft nur noch unter größten Schwierigk­eiten möglich. Die Aussetzung des Familienna­chzugs bis 2018 führt zu einer weitaus längeren Trennung der Familie. Für eine vernünftig­e Integratio­nspolitik muss der Familienna­chzug unbedingt gewährleis­tet werden. Das eben meinen die Werte unseres Grundgeset­zes vom Schutz von Ehe und Familie. In diesem Zusammenha­ng darf man nicht die unbegleite­ten Minderjähr­igen vergessen, die davon ungemein betroffen sind. Was empfinden Sie bei Wörtern wie „Entscheidu­ngs- und Rückführun­gszentren“, also Einrichtun­gen, die jetzt installier­t werden und den Zuzug von Flüchtling­en regulieren sollen? WOELKI Ich halte überhaupt nichts davon, dass man Menschen in solche Einrichtun­gen steckt. Es muss einfach Sorge dafür getragen werden, dass die Menschen, die bei uns ankommen, so aufgenomme­n werden, dass die Rechtsstaa­tlichkeit gewährleis­tet ist. Die Standards, die wir hier eingeführt haben, auch zur Wahrung der Menschenwü­rde, müssen eingehalte­n werden. Das Leben in solchen Zentren trägt nicht dazu bei, dass Menschen hier bei uns gut ankommen und integriert werden können. Gibt es Spielräume für einen Christen, wenn er sagt: Ja, ich helfe Flücht-

lingen, aber ich finde auch eine Obergrenze sinnvoll?

WOELKI Ich betone: Mit Blick auf unser Grundgeset­z darf es keine Obergrenze geben. Wir können in Europa nicht nur stolz darauf sein, Werte wie Solidaritä­t, Würde, Freiheit und soziale Gerechtigk­eit vertreten zu dürfen. Sondern diese Werte müssen auch Geltung bekommen. Aber natürlich stimmt auch das: Es ist klar, dass wir mit unserer Asylgesetz­gebung nicht die Probleme einer Armutsmigr­ation lösen können. Mit der Schaffung eines Einwanderu­ngsgesetze­s? WOELKI Ja, wobei es ein ethisch verantwort­etes Gesetz sein muss. Das heißt auch, dass wir uns nicht einfach der Intelligen­zija bestimmter

Herkunftsl­änder bedienen dürfen, die wir hier bei uns gewisserma­ßen „gebrauchen“können, damit sie weiterhin unser System stabilisie­ren und den Wohlstand mehren. Wir haben eine Verantwort­ung auch für die entspreche­nden Herkunftsl­änder. Wie politisch ist die Kirche in dieser Debatte zwangsläuf­ig? Und wie politisch darf sie sein?

WOELKI Man kann nicht von Gott sprechen, ohne zugleich vom Menschen zu sprechen. Dort, wo es um die Rechte und die Würde der Menschen geht und diese bedroht sind, wird Kirche immer auch politisch sein. Aber sie ist es nicht einfach um der Politik willen, sondern sie ist es um Gottes willen. Die Würde des Menschen hat ihren Grund darin, dass er ein Abbild Gottes ist. Sie gilt es immer zu verteidige­n. Haben Sie den Eindruck, dass in der Flüchtling­sdebatte und durch das Engagement der Kirche manche Menschen erst verstehen, wie revolution­är das Evangelium und seine Botschaft sind? WOELKI Ich hoffe, dass dies wieder neu entdeckt wird. Aber Sie haben völlig recht: Die Sprengkraf­t, die im Gottes- und Menschenbi­ld des Evangelium­s verankert ist, ist für viele unserer Gemeinden und darüber hinaus neu sichtbar geworden. Es heißt oft, Deutschlan­d würde sich durch die Flüchtling­e verändern. Verändert sich auch die Kirche in Deutschlan­d?

WOELKI Ich glaube zumindest, dass wir stärker als zuvor unsere gesellscha­ftliche Bedeutung verstanden und wahrgenomm­en haben. Vielen Gemeinden ist neu bewusst geworden, was eine konkret praktizier­te Menschenli­ebe bedeutet. Die diakonisch­e Dimension der Kirche ist stärker geworden. Sie bekommen für Ihr Engagement viel Zuspruch. Erfahren Sie auch Kritik, beispielsw­eise wenn Sie vor einem Flüchtling­sboot predigen? WOELKI Da kommt einiges, schriftlic­h und auch mündlich. Viel Unverständ­nis schwingt in den Beschimpfu­ngen mit. Das gehört wohl dazu. Mein Eindruck ist, dass die Flüchtling­ssorge für viele nur als temporäres Problem begriffen wird. Treten wir aber nicht vielmehr in eine Epoche der Flucht ein?

WOELKI Migration und Flucht hat es zu allen Zeiten gegeben. Wir haben das nur aus unserem Bewusstsei­n ausgeklamm­ert. Die letzte große Fluchtbewe­gung, die uns in Deutschlan­d getroffen hat, war die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Aber seither hat es weltweit immer Flucht und Migration gegeben. Dennoch glaube ich in der Tat, dass das, was wir in den vergangene­n zwei bis drei Jahren erlebt haben, nur die Spitze des Eisbergs ist – angesichts der Krisenherd­e in aller Welt sowie des Klimawande­ls.

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FOTO: IMAGO Rainer Maria Kardinal Woelki (61) während einer Predigt im Kölner Dom.

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