Fußball skurril in Gladbach
Die Borussia verliert nach 1:0-Halbzeitführung mit 1:5 gegen Bayer Leverkusen.
MÖNCHENGLADBACH Wer in der Pause des Bundesliga-Spiels zwischen Borussia Mönchengladbach und Bayer Leverkusen darauf gesetzt hätte, dass die Gäste 5:1 gewinnen (wie es am Ende dann auch war), der hätte bestenfalls ein mitleidiges Lächeln seines Gesprächspartners geerntet. 1:0 führte Gladbach zu diesem Zeitpunkt. Und die Überlegenheit war groß, dass der, der auf ein 5:1 der Borussen gesetzt hätte, keine guten Quoten bei den Wettanbietern bekommen hätte. Chancen über Chancen hatten die Borussen, sie kombinierten nach Herzenslust, und die Fußballfreunde staunten über den jungen Michael Cuisance, der rotzfrech spielte. In den sozialen Netzwerken wurde Gladbachs Leistung in blumigsten Worten abgefeiert.
45 Minuten später war die Stimmung eine andere. Kluge Menschen wiesen darauf hin, längst gemahnt zu haben, wie groß die Problemzone der Borussen tatsächlich sei, andere waren nun bemüht, den Tadel ebenso wortreich kundzutun wie zuvor das Lob. Jedes Spiel hat zwei Halbzeiten, dieses fand in zwei Welten statt, es war schlichtweg skurril. In der ersten Halbzeit spielte Gladbach grandios, allein die fehlende Effektivität war ein Makel, der sich bitter rächen sollte. Denn plötzlich war Bayer ein anderer Gegner, einer, der das Zentrum dicht machte und Gladbach damit vor einige Rätsel stellte, einer, der angetrieben vom eingewechselten Julian Brandt, gnadenlos effektiv spielte: Acht Torchancen brachten Bayer fünf Tore ein – und den Gladbachern die höchste Heimniederlage seit dem 30. Oktober 1998, als es ein 2:8 gegen Leverkusen gab. Ein weiterer historischer Aspekt: Fünf Gegentore in einer Halbzeit gab es für Gladbach daheim zuletzt beim 0:7 gegen Bremen im April 1966.
Trainer Dieter Hecking hatte sein Team nach dem aktuellen 2:0 in Bremen noch im Status „stabil“ge- wähnt. Das bestätigte Gladbach vor der Pause. Dann aber verteidigte Borussia wie eine Schülermannschaft. Leichte Ballverluste im Aufbau, nicht nur von jungen Leuten wie dem 18 Jahre alten Cuisance, sondern auch von Nationalspieler Lars Stindl. „Das darf gerade im eigenen Stadion nicht passieren. Wenn wir uns weiterentwickeln wollen, müssen wir das abstellen“, gestand dieser.
Leverkusen nutzte Borussias Unzulänglichkeiten (schlechte Chancen-Auswertung, defensive Offenheit) gnadenlos aus. Skurril ist auch das, denn eben die Chancenverwer- tung war bis dato das große BayerManko. Beim ersten Auswärtssieg wurde es mit einem Ausrufezeichen behoben. Doch Heiko Herrlich, der Trainer, blieb trotzdem gelassen. Denn schon morgen steht das nächste Spiel an: im DFB-Pokal gegen den Zweitligisten Union Berlin. Leverkusen hat sich Selbstvertrauen verschafft für diese Aufgabe, Borussia hingegen muss nach dem samstäglichen Debakel in arg gedämpfter Stimmung bei der so euphorischen Fortuna in Düsseldorf antreten.
Doch worauf soll sich Fortuna einstellen? Denn konstant ist Glad- bach nur in einer Disziplin: im Wellenreiten. Es geht auf und ab, dieses Mal sogar von Halbzeit zu Halbzeit. Zwischen Höhen und Tiefen war Gladbach unterwegs. Dabei sah sich die Borussia nach zuvor zwei Siegen auf dem richtigen Weg in Sachen Konstanz. Vor vier Wochen gab es ein 1:6 in Dortmund, danach „haben wir uns zurückgearbeitet und uns den Anschluss wieder erarbeitet – jetzt haben wir mit so einer Halbzeit vieles wieder kaputt gemacht“, sagte Stindl. Statt an Rang drei heranzurücken, ist Borussia wieder rausgerutscht aus den Europa-Rängen, 17 Gegentore sind kein Aus- hängeschild für die Defensive, und schon zwei Heimniederlagen sind ebenfalls wenig hilfreich für ein Team mit Gladbachs Ambitionen.
Nun folgen zwei Auswärtsspiele, erst in Düsseldorf, dann bei 1899 Hoffenheim. Die Borussia der ersten 45 Minuten gegen Leverkusen muss vor keinem Gegner Angst haben. Die der zweiten Halbzeit schon. Gestern gab es eine ausführliche Aussprache im Borussia-Park. Dass so etwas wie gegen Leverkusen nicht passieren darf, darüber war man sich einig. Und auch darüber, dass die einzig richtige Antwort ein Erfolg im Pokal bei Fortuna sei.