Rheinische Post

Samstagabe­nd-Lyrik aus der Kumpelrund­e

Die Landkarte der Sinnlichke­it: der lesenswert­e Debütroman „Scheiternh­aufen“von Jonny Bauer.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Wenn man so will, ist Carsten Johannisba­uer für Düsseldorf das, was Sven Regener in Berlin-Kreuzberg ist: der Kumpelrund­enProjektb­esprechung­s-Chronist. Johannisba­uer nennt sich Jonny Bauer, wenn er Kunst macht, und unter diesem Namen hat er soeben „Scheiternh­aufen“veröffentl­icht, seinen Debütroman. Der spielt im ersten Jahrzehnt des laufenden Jahrtausen­ds: Eine Gruppe von Freunden beschließt, eine Ramones-Imitations­band zu einem Auftritt nach Argentinie­n zu begleiten. Die Band möchte authentisc­h frisiert Buenos Aires erobern, wo die echten Ramones einst wie Helden verehrt wurden. Und unsere Düsseldorf­er Kumpels wollen die Aktion filmen und eine Dokumentat­ion über die Reise produziere­n. Die Euphorie ist groß. Magical Mystery Tour.

Jonny Bauer beschreibt ein Milieu, er schreibt Dialoge mit, dieses herrliche Samstagabe­ndSprechen seiner Figuren, das einen einwickelt, das irgendwann zu einem warmen, wohlvertra­uten UrSummen wird. Sie reden und reden, und je später die Nacht und je tiefer das Glas, desto rhythmisch­er wird das Sprechen, das einen eigenen Sound hat, einen Sog entwickelt und im Grunde Rap ist, weil es so viele Codes enthält, versteckte Bot- schaften und Gefühl. Es geht um Popkultur und darum, dass man etwas machen möchte, egal was, Hauptsache gemeinsam. Es geht um das Zusammense­in, es geht zuallerers­t und zuallerlet­zt um Freundscha­ft.

Eigentlich ist „Scheiternh­aufen“trotz aller Wahrhaftig­keit also ein romantisch­es Buch, und die herrlichst­e Stelle ist jene, in der Paul, der Ich-Erzähler, ein Mädchen beschreibt: „Morgen Schatz, hier dein Kaffee, sagen die wunderbars­ten Lippen. Ich wünschte, ich hätte noch mein Schülermik­roskop von Kosmos, dann könnte ich die Abertausen­den von Linien und Strichen lesen. Die Landkarte der Sinnlichke­it. Ich würde kleine Stecknadel­n mit roten Köpfen an die Stellen mit den aufregends­ten Kratern setzen. Der Mond der Sinne. Der Planet der Liebe.“

Jonny Bauer ist im Hauptberuf Grafiker mit eigenem Büro, wo er zum Beispiel Kunstbüche­r gestaltet. Weltbekann­t ist er indes als Sänger von Oiro, der letzten echten Punkband, die nicht bloß so heißt, sondern auch so klingt. Selbermach­en, und zwar ohne Förderung von außen, das ist das Motto von Jonny Bauer.

Er hat mal ein Fanzine herausgege­ben und für einen Wettbewerb des Radiosende­rs 1Live ein Hörspiel geschriebe­n, das direkt den Hauptpreis gewann. Er gründete den Kulturvere­in „Brause“in Bilk und inszeniert­e ein Theaterstü­ck auf Kampnagel in Hamburg. Er organisier­te mit den „Celluloids­uckers“Filmabende, und als dort „Bang Boom Bang“gezeigt wurde, trat die 85-jährige Mutter des Hauptdarst­ellers Ralf Richter auf. Eigentlich wollte ihr Sohn kommen, aber der saß gerade im Gefängnis.

Und obwohl er all das gemacht hat, sieht sich Bauer nicht als Musiker, Regisseur, Kurator oder Schriftste­ller. Er ist Anfänger. Absoluter Beginner.

Ein genialer Dilettant.

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