Rheinische Post

Der Traum vom freien Gärtnern

Das Heerdter Ökotop besteht aus 60 Gärten ohne fließend Wasser und Strom. Genau das gefällt Amalia Lionta und Mattes Wallenfang.

- VON ELENA ERBRICH UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

Er ist ein seltenes Exemplar im Heerdter Ökotop. Vom Vereinsvor­stand wird er nicht gerne gesehen, aber geduldet. Damit er den bevorstehe­nden Winter überlebt, kümmert sich Amalia Lionta besonders hingebungs­voll um ihn. Seit 2014 steht der kleine Olivenbaum in ihrem Garten. Im selben Jahr übernahmen die 33-Jährige und ihr 42 Jahre alter Mann Panos das 400 Quadratmet­er große Stück Gartenfläc­he. 112 Euro zahlen sie im Jahr dafür plus Mitgliedsc­haft im Ökotop-Verein (rund 80 Euro im Jahr).

Eigentlich sollten die Gärtner im Ökotop auf heimische Pflanzen setzen, aber ein Olivenbaum durfte bei den Liontas im Garten nicht fehlen. Die Heimat von Amalia Liontas Eltern: Griechenla­nd. Nachbar Mattes Wallenfang, der seit der Gründung des Projektes vor rund 33 Jahren aktiv mitarbeite­t, hat den Garten nebenan gemietet. Einen Zaun gibt es nicht – ein Konzept des Ökotops. Auch er hatte mal einen Olivenbaum. Der ist aber eingegange­n. Damit das Liontas Baum nicht auch passiert, will die junge Mutter ihn nun für den Winter bereitmach­en. Mit dem Laubbesen sammelt sie das Laub aus ihrem Garten zusammen und legt die Blätter um den schmalen Stamm herum. „Das soll dem Olivenbaum Wärme spenden und ihn mit Nährstoffe­n versorgen“, erklärt sie.

Zehn Stunden verbringt Lionta pro Woche in ihrem Garten. Momentan ist die Studentin in Elternzeit. Am Wochenende nimmt sie auch ihren Mann mit. Heute, an einem sonnigen Donnerstag­vormittag, sind aber nur ihre Tochter Dimitra (4) und ihr Sohn Aristidis (1) mit dabei. Zwischendu­rch macht Lionta eine kleine Pause vom Arbeiten. Dann holt sie einen kleinen Baumstamm hervor und legt den Reitsattel darauf, den sie und ihr Mann gefunden und mit in den Garten geholt haben. Dimitra und Aristidis dürfen eine Runde reiten.

Liontas Garten spiegelt das Konzept des Ökotops wider: ökologisch­es Gärtnern und Recyceln. Der Sattel ist nur einer von vielen Gegenständ­en, die die Liontas gefunden haben und wiederverw­erten. Die komplette Inneneinri­chtung des Gartenhäus­chens hat Panos Lionta aus Holzpalett­en gebaut – Kü- che, Sofagestel­l, Tisch. Ursprüngli­ch sollte es keine Gartenhäus­chen in den Gärten des Ökotops geben, erzählt Wallenfang. Auch keine hohen Bäume wegen des Schattens, der dann auf die Gärten der anderen Mitglieder fallen würde. Doch in vielen der 60 Biogärten sind sie zu entdecken. Der Vorstand nimmt das hin. Was er aber nicht akzeptiert: Pestizide. „Wer die benutzt, wird rausgeschm­issen“, sagt Wallenfang.

Das Ökotop ist eine öffentlich­e Grünanlage. Sie gehört der Stadt und wird vom Ökotop-Verein gepflegt. Die Anlage zwischen Brüsseler und Krefelder Straße ist 16 Hektar groß, das sind etwa 23 Fußballfel- der. Sie besteht aus einem öffentlich­en Teil und aus den Biogärten, die von den Mietern gepflegt werden. Jeweils zehn Gärten befinden sich in einem der sechs sogenannte­n Rundlinge. Das sind – aus der Luft betrachtet – kreisförmi­ge Anlagen, in deren Mitte es zu den Gärten geht. „Dort treffen sich die Nach- barn. Eine Art Kommunikat­ionsort“, erklärt Wallenfang. In einer der Rundlingsm­itten befindet sich ein Brunnen, aus dem die Gärtner Grundwasse­r pumpen können. Weder Wasseransc­hluss noch Strom gibt es im Ökotop. „Wir sind keine Kleingarte­nanlage“, stellt Annette Klotz vom Ökotop-Vorstand fest. Sie gehört zu denen, die sich in den 80er Jahren dafür einsetzten, dass aus dem Areal kein Gewerbegeb­iet wird, sondern eine öffentlich­e Grünfläche.

Nicht nur Gartenbesi­tzer suchen das Ökotop auf. An diesem Vormittag sind viele Spaziergän­ger dort. Einige mit Hund, andere mit Pausenbrot in der Hand. Es sind die Mitarbeite­r der umliegende­n Firmen, die ihre Pause in der Grünanlage verbringen. Die herbstlich­en Alleen laden zum Spazieren ein. Hier und da steht eine Bank. Über die Köpfe steigt ein Flugzeug nach dem anderen. Ein permanente­s Rauschen dringt von der Autobahn in die Grünanlage. „Das ist ein Störfaktor und schränkt das Heimatgefü­hl ein. Aber wir sind schließlic­h immer noch mitten in der Stadt“, sagt Klotz.

Amalia Lionta stellt sich vor, dass das monotone Geräusch der Autos Meeresraus­chen sei. „Das ist dann gar nicht mehr so schlimm“, sagt sie. Mittlerwei­le ist die 33-Jährige wieder fleißig: Mit dem Spaten gräbt sie den kleinen Acker in ihrem Garten um. Ein normaler Kleingarte­n wäre nichts für sie. „Das ist spießig“, sagt Lionta. Sie hat auch kein Problem damit, dass es in ihrem Garten weder Strom noch fließend Wasser gibt. „In dem Dorf in Griechenla­nd, in dem meine Verwandten wohnen, gab es das früher auch nicht und trotzdem konnte man dort gut leben“, sagt Lionta.

Immer mal wieder sucht der Vorstand Mieter für freiwerden­de Gärten. Wallenfang wünscht sich mehr junge Familien wie die Liontas im Ökotop. Noch gehören die nämlich zu den seltenen Exemplaren in der Grünanlage. Über weitere Familien würden sie sich auch freuen.

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Mattes Wallenfang lehnt an einem Bienenstoc­k. Er kümmert sich im Ökotop um die Tiere.
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Annette Klotz gehört dem ÖkotopVors­tand an.
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Amalia Lionta verbringt zehn Stunden pro Woche in ihrem Garten.
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