Rheinische Post

Hinter der Tür lauert die Einsamkeit

Die franziskan­ische Initiative Vision:teilen kümmert sich mit dem Projekt „Hallo Nachbar“um Senioren, Kranke, Arme. 40 Ehrenamtli­che konnten in den vergangene­n vier Jahren 150 Menschen in vielfältig­en Situatione­n unterstütz­en.

- VON MARC INGEL

PEMPELFORT/DERENDORF Es ist keineswegs so, dass nur verwitwete Senioren unter Einsamkeit leiden, betont Marieke Schmale. „Auch Menschen, die psychisch oder körperlich krank, die in eine Lebenskris­e, etwa durch plötzliche Arbeitslos­igkeit, geraten sind, rutschen bisweilen in die Isolation“, sagt die Sozialarbe­iterin, die bei der franziskan­ischen Initiative Vision:teilen das Projekt „Hallo Nachbar“leitet. „Früher, da wurden diese Betroffene­n durch die eigene Familie aufgefange­n, durch Nachbarn, Freunde, auf dem Land vielleicht sogar durch Ordensschw­estern. Heute, in der Anonymität der Großstadt, ist oft niemand mehr da, fallen diese Leute gar nicht weiter auf. Erst wenn die Polizei plötzlich im Hausflur steht“, ergänzt Büroleiter Daniel Stumpe.

Um diese Personen kümmern sich seit knapp vier Jahren mittlerwei­le 40 Ehrenamtli­che, deren Einsatz Marieke Schmale koordinier­t, seit acht Monaten auf einer vollen Stelle. „Wir bieten keine Pflege an, helfen aber bei den ersten Schritten, wenn diese benötigt wird. Wir helfen bei Anträgen, Behördengä­ngen, Einkäufen oder persönlich­en Einschränk­ungen. Manchmal ist aber auch nur jemand gefragt, der zuhört, mit einem spazieren geht, Zeit investiert“, erklärt Schmale. Mehr als 150 „Nachbarn“konnte so in den vergangene­n vier Jahren geholfen werden. Einige der Ehrenamtle­r kümmern sich nur um einen bestimmten Schützling, andere um mehrere Personen, vom Studenten bis zum Rentner ist alles dabei, unterstrei­cht Stumpe.

Schmale schult die Freiwillig­en, knüpft auch immer den ersten Kontakt, denn für die unmittelba­r Betroffene­n ist es nicht immer so einfach, die Scham zu überwinden und einzugeste­hen, dass man einsam ist, Hilfe benötigt, dringend einen Gesprächsp­artner sucht. Die vermittelt­en Kontakte sind dann nicht selten so eng, dass auch nach einem Umzug ins Heim die Besuche der Begleitper­son anhalten. „Im Optimalfal­l sind wir am Ende überflüssi­g und der zuvor vereinsamt­e Mensch kommt wieder alleine zurecht“, so Schmale.

Freunde, Angehörige, natürlich Nachbarn machen die Projektlei­terin auf Hilfsbedür­ftige aufmerksam, auch Ärzte, Apotheker und Physiother­apeuten sind Tippgeber. Die Einsatzsch­werpunkte liegen in Derendorf/Pempelfort, aber auch in Eller/Lierenfeld oder Unterrath. „Letztlich versuchen wir, ganz Düsseldorf abzudecken“, sagt Stumpe, der von erschrecke­nden Beispielen zu berichten weiß: Menschen, die seit mehr als drei Jahren nicht mehr ihre Wohnung verlassen haben und auf einmal einschränk­end sagen: „Stimmt gar nicht, vor zwei Jahren war ich ja mal beim Arzt.“

Die Dunkelziff­er ist selbstrede­nd hoch, „wir können nicht alles erreichen“, bedauert Marieke Schmale, die zum Beispiel von Statistike­n weiß, dass ungefähr 8000 beim Amt gemeldete Senioren von Altersarmu­t betroffen sind. Dass die angebotene Hilfe ausgeschla­gen wird, ist jedenfalls selten, „das sind allenfalls fünf Prozent. Häufig sagen diese Menschen auch, es sei gut, zu wissen, an wen man sich wenden könne, wenn es alleine nicht mehr geht“, erzählt die Sozialarbe­iterin.

Neue Ehrenamtle­r werden immer gesucht, bestätigt Stumpe, „denn Rentner etwa, die sich engagieren, sind ja in der Regel irgendwann selbst nicht mehr in der Lage, sich um andere zu kümmern“. Und das Problem der Isolation in den eigenen vier Wänden wird in Zukunft bestimmt nicht kleiner.

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Daniel Stumpe und Marieke Schmale mit dem „Kopf“von Vision:teilen, Bruder Peter Amendt (M.). Die franziskan­ische „Initiative gegen Armut und Not“hat ihren Sitz an der Schirmerst­raße 27.
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Vision:teilen will demnächst eine Kampagne für „Hallo Nachbar“starten.
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Mit der Aktion sollen neue „Türöffner“gewonnen werden.

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