Rheinische Post

Die überschätz­te Konferenz

- VON KLAUS PETER KÜHN 0,8 °C

BONN Was von der größten Konferenz auf deutschem Boden – 25.000 Teilnehmer sind noch bis Ende nächster Woche zum Klimagipfe­l in Bonn versammelt – bleiben wird, lässt sich zur Halbzeit noch nicht sagen. Seit der ersten Klimakonfe­renz 1995 in Berlin ist es quasi Tradition, dass vor dem Erscheinen der Minister, Staats- und Regierungs­chefs in der zweiten Woche kaum Bewegung in die Verhandlun­gsposition­en kommt. In Kopenhagen hat nicht einmal dieses Konzept funktionie­rt – der Gipfel in der dänischen Hauptstadt endete 2009 im Desaster. In Paris 2015 wiederum führte eine Spitzenlei­stung der französisc­hen Präsidents­chaft zu einem Erfolg, der nicht nur die deutsche Umweltmini­sterin zu Tränen rührte.

Vor zwei Jahren hat die Weltgemein­schaft ein gemeinsame­s Ziel formuliert: Bis zum Ende des Jahrhunder­ts soll die Temperatur der Erdatmosph­äre um nicht mehr als zwei Grad steigen, besser noch nur um 1,5 Grad. Das erfordert enorme Anstrengun­gen – je nach Land höchst unterschie­dliche. Die einen müssen das Roden tropischer Regenwälde­r (die enorm viel Kohlendiox­id „schlucken“können) stoppen, die anderen das Verbrennen von Kohle und Öl drastisch einschränk­en.

Wer was unternimmt, um die Erderwärmu­ng zu bremsen, wie die Ergebnisse gemessen und verglichen werden können – all das blieb nach dem Durchbruch von Paris noch offen. In einem mehrjährig­en Prozess sollen die Regeln für diese Aufgaben formuliert werden. Die Bonner Konferenz ist nicht viel mehr als eine Etappe auf diesem mühseligen Weg, fast 200 Vertragsst­aaten auf einen gemeinsame­n Nenner in diesen Fragen zu bringen.

Die Vorstellun­g, dass Untätigkei­t oder Verfehlen von Zielen in irgendeine­r Weise bestraft wird, erscheint utopisch. Zumal in Zeiten, in denen straucheln­de Musterschü­ler im Fach Klimaschut­z wie Deutschlan­d ihre selbst gesteckten Ziele nicht erreichen können.

Die Bundesregi­erung hat allerdings bei einem bislang unterschät­zten The- ma ein vorbildlic­hes Zeichen gesetzt: bei den Finanzhilf­en für Staaten, in denen die Erwärmung bereits Schäden angerichte­t hat. Deutschlan­d stockt seine Zusagen auf 240 Millionen Euro auf. Der Klima-Anpassungs­fonds kommt Staaten wie Fidschi zugute. Das Inselreich im Südpazifik – eigentlich­er Gastgeber der Bonner Konferenz – ist vom Meeresanst­ieg akut bedroht, ohne selbst nennenswer­t durch den Ausstoß von Kohlendiox­id zum Klimawande­l beigetrage­n zu haben. Vereinbart ist, dass ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar in den Fonds fließen.

Wer die Verursache­r sind, wird dem Besucher der höchst anregenden Ausstellun­g „Wetterberi­cht“in der Bonner Bundeskuns­thalle deutlich vor Augen geführt: Auf einem Monitor symbolisie­ren rote und gelbe Flecken den steigenden CO2-Ausstoß – sie züngeln fast nur auf der Nordhalbku­gel.

Bei den Hilfsgelde­rn sind in Bonn die größten Fortschrit­te zu erwarten. Der Beitritt des blutrünsti­gen Assad-Re- 2014 bis 2016 waren weltweit die wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnu­ngen. Abweichung von der Durchschni­ttstempera­tur des 20. Jahrhunder­ts in Grad Celsius. 1880 1900 1920 1940 gimes in Syrien und des bettelarme­n Nicaragua zum Pariser Abkommen dürfte eher eine Fußnote bleiben. Die USA, die den Austritt aus dem Vertrag für 2020 angekündig­t haben, sind hingegen völlig isoliert. Die US-Delegation, die in Bonn noch mit dabei ist, hält sich auffallend zurück.

Das Gewicht der Mammut-Konferenz hält sich also in Grenzen. Da bleibt ausreichen­d Raum für jeden Einzelnen, darüber nachzudenk­en, wie er persönlich zur Begrenzung des Klimawande­ls beitragen kann. Der Philosoph Hans Jonas hat es einmal so formuliert: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglic­h sind mit der Permanenz echten menschlich­en Lebens auf Erden.“Große Worte. Gefährde ich wirklich den Fortbestan­d der Menschheit, wenn ich Jahr für Jahr mehrere Übersee-Urlaubreis­en unternehme oder ein überdimens­ioniertes Auto mit Verbrennun­gsmotor fahre? Genau genommen ist die Antwort natürlich Ja, wenn sich auch das Ausmaß nur in Zif- 1960 Rekordjahr 2016: + 0,94°C 1980 2000 2010 2010: + 0,70 °C + 0,63 °C fern mit Dutzenden von Stellen hinter dem Komma ausdrücken lässt.

In der Summe fällt solches Verhalten sehr wohl ins Gewicht – das weiß im Grunde jeder, sonst würde niemand jemals wählen gehen. Unser Verhalten ist ungerecht gegenüber den Armen dieser Welt und den nachfolgen­den Generation­en, die diese Möglichkei­ten des Ressourcen­verbrauchs gar nicht haben oder bekommen werden. Da nimmt sich jemand etwas, was ihm ethisch betrachtet nicht zusteht. Im Alltag wird solches Verhalten klar missbillig­t. „So etwas gehört sich eigentlich nicht“, heißt es dann. Wenn es gelingt, dieses Bewusstsei­n für den Umgang mit dem Planeten Erde mehrheitsf­ähig zu machen, dann haben die Beschlüsse künftiger Klimakonfe­renzen bessere Aussichten auf Umsetzung.

Bevor sich die große Mehrheit klimavertr­äglich verhält, müsste ein solcher Lebensstil aber erst einmal „salonfähig“werden. Der Mensch, der sein Hausdach mit Solarzelle­n zupflaster­t, um von externer Stromverso­rgung unabhängig zu werden, die Raumtemper­atur nach unten optimiert und nur ein, zwei Mal in der Woche Fleisch isst, sollte nicht länger als Sonderling belächelt werden. Es braucht Anreize (etwa Steuererle­ichterunge­n) und Vorbilder – Eltern, die dies ihren Kindern vorleben, oder auch prominente Vorreiter. Dann gelingt es, im Interesse der Allgemeinh­eit auf etwas zu verzichten, was der Einzelne sich (finanziell) durchaus leisten kann. Fast 70 Prozent der Deutschen geben dem Umwelt- und Klimaschut­z Vorrang vor wirtschaft­lichen Interessen – aber die sind ja ein Stück von der persönlich­en Sphäre entfernt.

So träge unsere Verhaltens­änderungen sind, sosehr man die Unverbindl­ichkeit der hehren Ziele von Klimakonfe­renzen beklagen muss, ist es erfreulich zu sehen, wie unbeeindru­ckt von beiden Trends sich ökologisch und ökonomisch sinnvolle Techniken den Weg bahnen. Die erneuerbar­en Energien etwa schaffen nicht nur Zehntausen­de Arbeitsplä­tze, sie sind auch zunehmend in der Lage, die klimaschäd­lichen Energieque­llen zu ersetzen.

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