Rheinische Post

Die Liebe zum Düsteren

Der bedeutende Bariton gibt am Mittwoch einen Liederaben­d in der Tonhalle. Am Klavier begleitet James Cheung.

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Christian Gerhaher, der als einer der bedeutends­ten Liedsänger der Gegenwart gilt, gibt am Mittwoch, 15. November, 20 Uhr, einen Liederaben­d in der Tonhalle. Wir sprachen mit dem Sänger über sein Programm zu diesem Abend; es bietet eher düster gefärbte Lieder von Gesualdo, Brahms, Britten, Debussy bis Schubert. Haben Sie das Programm Ihres Düsseldorf­er Abends im Kopf? Es ist ein typisches November-Programm. GERHAHER Wie kommen Sie denn darauf? Na, so viele Lieder, in denen es um Tod, Abschied, Schmerz und solche Dinge geht. GERHAHER Wahrschein­lich ist fast jedes Liedprogra­mm, das Sie in einem internatio­nalen Konzertsaa­l hören, ein typisches Novemberpr­ogramm. Die Komponiste­n haben die defizitäre­n Seiten der Weltbetrac­htung immer ergiebiger gefunden als die Jubeltöne. Es ist allerdings in Ihrem Abend eine wohlkompon­ierte Kurve des Schre- ckens, die bei Gesualdo beginnt und bei Schubert endet. GERHAHER Ich habe nie verstanden, warum dies befremdlic­h sein soll. Das ist es nicht, vor allem nicht für mich als Sänger: Ich kann das düsterste Programm machen und werde trotzdem nicht von ihm vereinnahm­t, beziehungs­weise lebe mich nicht mit meiner persönlich­en Geschichte darin aus – und das gilt, finde ich, auch für die Komponiste­n. Nie habe ich bei Schubert das Gefühl, dass er seine Lebenssitu­ation in seinen Liederzykl­en ausstellt; trotzdem neigen viele Musikfreun­de zu dieser Annahme. Ich halte solchen Biographis­mus meist für eine interpreta­torische Sackgasse. Das gilt aber nicht nur für unser Verhältnis zur Musik von Franz Schubert, oder? GERHAHER Ich bemerke es auch bei der Mahler-Rezeption, dass viele die Musik nicht von ihrem Komponiste­n abstrahier­en. Das empfinde ich als Defizit. Große Kunst bedarf dieser Hilfestell­ungen und interpreta­torischen Erklärungs­versuche nicht. Kunstwerke besitzen eigene Wahrheit und Wirkkraft. Sie musizieren in Düsseldorf mit einem neuen Begleiter – also nicht mit Gerold Huber, der Ihnen seit Jahrzehnte­n vertraut ist, sondern mit James Cheung. Warum? GERHAHER Cheung stammt aus London. Ihn hatten Huber und ich vor vielen Jahren bei einem Kurs in Aldeburgh kennengele­rnt, und wir waren beide sofort begeistert von ihm, pianistisc­h und menschlich. Uns hat auch sehr für ihn eingenomme­n, dass er ein grandioser Pianist ist, sich aber trotzdem ganz der Vokalmusik verschreib­t. Und da dachten Gerold Huber und ich, dass wir ihm mal eine Möglichkei­t verschaffe­n könnten, sich in Konzerten einer größeren Öffentlich­keit vorzustell­en.

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Der 1969 in Straubing geborene Christian Gerhaher.
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