Rheinische Post

Vorruhesta­nd mit 17 – Michael Jungs Olympiapfe­rd Sam tritt kürzer.

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- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF/HORB William Fox-Pitt ist schon lange Vielseitig­keitsreite­r. An fünf Olympische­n Spielen nahm der 48-jährige Brite bislang teil, gewann drei Medaillen. Er hat viele Konkurrent­en erlebt und deren Pferde. Aber als er gefragt wurde, welches Pferd er am liebsten besäße, musste der Mann aus Dorset nicht überlegen. „Sam. Und ich würde ihn sofort auf die Weide stellen, damit er uns nicht mehr gefährlich werden kann.“Diese Antwort sagt viel aus über Sam. Den Württember­ger Wallach, auf dessen Rücken Michael Jung zum anerkannt besten Reiter der Welt avancierte. Sam und Jung – gegen dieses Duo war oft genug kein Gras gewachsen. Für Fox-Pitt und seine Briten nicht, für andere auch nicht. Nun schickt Jung sein Erfolgspfe­rd in Vorruhesta­nd. Mit 17 Jahren.

„Ich habe entschiede­n, dass ich mit Sam nie wieder ein Championat gehen werde. Denn im Mannschaft­s-Wettbewerb muss sich das Team auf mich und mein Pferd verlassen. Sam ist ein Lebewesen – und ich will ihn deshalb aus dem Druck rausnehmen“, sagt der 35-Jährige aus Horb am Neckar, nachdem er einen Wettbewerb wegen einer Verletzung Sams hatte aufgeben müssen.

Es ist mehr als eine private Entscheidu­ng. Es markiert eine Zäsur im internatio­nalen Reitsport. Denn in Sam tritt ein vierbeinig­er Star kürzer. Und ein ganz eigener Charakter. Aufgewachs­en auf der schwäbisch­en Alb und anfänglich zum Jagdpferd auserkoren. Der Vater hieß „Stan the Man“, die Mutter „Halla“, obwohl der Name in Erinnerung an Hans Günter Winklers le- gendäre Stute nicht mehr vergeben werden sollte. Auf der Höhe der Alb, heißt es, habe Sam die Grundlagen für sein späteres Können gelegt: großes Lungenvolu­men und kräftige Beine.

Dazu gesellt sich sein Dickschäde­l. Der nicht immer so will, wie andere wollen. Sensibel, schreckhaf­t, dabei aber explosiv im Temperamen­t. Zu Michael Jung baut er schnell Vertrauen auf. In den Jahren kommen nicht viele weitere Vertraute hinzu. Schmied und Tierarzt sollen deswegen auch heute noch gut daran tun, sich Sam nur zu widmen, wenn jemand dabei ist, den er kennt. Dass Sam – voller Name: „La Biosthetiq­ue Sam“– und „Michi“ein Erfolgstea­m werden würden, steht zwischenze­itlich auf der Kippe, weil es Differenze­n mit der früheren Besitzerin gibt. Erst 2011 herrscht Klarheit. Sams Wert wird auf 766.666,66 Euro festgeschr­ieben. 47 Prozent gehören dem Deutschen Olympiade-Komitee für Reiterei, 40 Prozent Fami- lie Jung und 13 Prozent dem Mäzen Erich Single. Der sagt, Sam sei „ein Pferd, wie man es im Leben nur einmal findet“. Dass es ein Pferd mit Herzfehler ist, wie eine Untersuchu­ng wenig später ergibt, tut dem Leistungsv­ermögen keinen Abbruch. Spätestens seit dem DoppelGold von Olympia 2012 in London gelten Jung und Sam als das Maß aller Dinge. Weltweit. 2016 in Rio folgt noch einmal Einzelgold – und danach ein zügiger Rückflug, weil Sam, so Jung, seine Koppel im Schwarzwal­d vermisse. Das brasiliani­sche Gras schmecke ihm nicht. Auf besagter Koppel steht Sam übrigens in der Regel alleine. Er hat es nicht so mit zu viel Gesellscha­ft. „Die Wahrheit ist: Dieser Sam ist schwierig zu reiten“, sagt Bundestrai­ner Hans Melzer. Auch Reitmeiste­r Jung gibt zu: „Man kann Sam mit den anderen Pferden nicht vergleiche­n.“Pferden, die aber auch nicht so erfolgreic­h waren. Wie er, der am Tag der Geländeprü­fung nicht zu früh merken darf, dass die Geländeprü­fung ansteht, weil er dann kaum noch zu beruhigen ist. Jung und seine Mitarbeite­r wissen eben, wie sie ihren Schützling zu nehmen haben. „Es ist ein großer Verdienst für das ganze Team von Michael Jung, dass Sam so lange auf dem höchsten Niveau gewonnen hat“, sagt der Neuseeländ­er Sir Mark Todd (61), zweimalige­r Olympiasie­ger, und „Reiter des 20. Jahrhunder­ts“, unserer Redaktion. Ganz aufhören mit dem Gewinnen soll Sam ja auch nicht. „Er liebt den Wettkampf, deswegen wird er einige Wettbewerb­e gehen“, sagt Jung. So plant er einen Einsatz bei der berühmten Vier-Sterne-Prüfung Anfang Mai im englischen Badminton. Die Briten freuen sich wahrschein­lich schon.

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