Rheinische Post

Italien, ich wein’ so sehr um dich!

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Wir gehören nicht zu denen, die Schadenfre­ude empfinden, weil Italien 2018 in Russland zusehen muss. Nein, wir weinen. Eine WM ohne Squadra Azzura ist keine. Das ist wie Italien ohne Nudeln und Rotwein. Oder um es mit Loriot zu sagen: Eine Weltmeiste­rschaft ohne Italien ist möglich, aber sinnlos. Wenn man drei Jahre nach der, wie sich jetzt herausstel­lt, erst vorletzten Apokalypse von 1958 geboren ist, kennt man kein Fußball-Weltturnie­r ohne Italien. Fragt sich irgendjema­nd, was aus unserer fest implementi­erten Angst werden soll, früh auf unseren Alptraum-Gegner zu treffen und todsicher auszuschei­den wie 1970 in Mexiko, 2006 in Deutschlan­d und bei der Euro 2012, weil es statistisc­h gar nicht anders geht (sieht man mal vom Elfmetersc­hießen 2016 ab, aber welcher Masochist mag sich daran noch erinnern)? Wie sollen wir 2018 bei gemeinsame­n TV-Abenden unsere beste Freundin aushalten, die sich mit großem, kaum zu ertragende­n Sachversta­nd unsterblic­h in Gigi Buffon verliebt hat („So ein schöner Mann und so groß für einen Italiener“)? Woraus sollen die Schweden einen Esprit schöpfen, den sie einer WM geben könnten? Daraus, dass sie den Italienern deren Heiligstes geklaut und vervollkom­mnet haben, den Catenaccio? Haben Sie jemals einen Schweden gesehen, der so theatralis­ch zu Boden sinken konnte wie eigens dafür ausgebilde­te Spieler aus Mailand, Turin und Rom? Wir hegen noch eine kleine Hoffnung. Vielleicht kommt ja heraus, dass die vermeintli­chen Spanier, die in der Gruppenpha­se die Tore in den Partien gegen Italien erzielt haben, samt und sonders Katalanen sind. Dann könnte man den Spaniern wegen ungeklärte­r Herkunftsv­erhältniss­e ihrer Torschütze­n die Punkte aberkennen, und Italien wäre direkt qualifizie­rt. Dann könnten wir nächstes Jahr auch mit den Italienern jubeln, weil sie sich im Viertelfin­ale dank dreier dem Gegner verweigert­er Elfmeter und einem Siegtor aus Abseitspos­ition für das Halbfinale gegen uns qualifizie­rt haben. Dann könnten wir Angst haben, Buffon lieben, den Catenaccio verfluchen, die Schauspiel­erei verdammen. Jetzt bleiben uns Ikea, Abba und Kötbüllar. Alles toll. Aber doch nicht bei der WM!

Georg Winters

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