Rheinische Post

Liebeskomö­die mit Groove

„The Big Sick“ist einer der sympathisc­hsten Liebesfilm­e des Jahres.

- VON CHRISTIAN FAHRENBACH

(dpa) Es ist jetzt zwölf Jahre her, dass der amerikanis­che Filmkritik­er Nathan Rabin einen Begriff erfunden hat, der seitdem einen bestimmten Frauenchar­akter in Arthaus-Filmen beschreibt: das „Manic Pixie Dream Girl“. Rabin definierte diese jungen Frauen als „quirlige und oberflächl­iche Figur, die es nur in den Fieberträu­men von sensiblen Regie-Drehbuchsc­hreibern gibt“.

Der Archetyp gehe lang zurück, Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“zähle dazu, Diane Keaton in „Annie Hall“oder aus jüngerer Zeit Natalie Portman in „Garden State“. Zu Beginn von „The Big Sick“sieht es so aus, als sei auch Zoe Kazan das klassische Abziehbild dieses Charakters – nett, aber man hat sich eigentlich schon an diesem Archetyp sattgesehe­n. Doch dann kommt alles anders.

Kazan spielt Emily, eine Bar-Besucherin, die nach seinem Auftritt in einem Comedyclub mit Kumail ins Gespräch kommt, ein US-Amerikaner mit pakistanis­chen Eltern, der leicht orientieru­ngslos durchs Leben driftet. Die beiden landen in der ersten Nacht im Bett, schnell wird eine Beziehung daraus, doch Kumail bringt es nicht übers Herz, seinen Eltern von Zoe zu erzählen – die versuchen stattdesse­n weiter munter, ihn mit pakistanis­chen Single-Töchtern aus dem Bekanntenk­reis zu verkuppeln.

Was sich wie eine albernen Millennial-Version von Multikulti-Komödien wie „My Big Fat Greek Wedding“liest, bestimmt aber nur die erste halbe Stunde des Films. Der Plot nimmt nach dem ersten Akt eine ungeahnte Wendung – die an dieser Stelle nicht vorweggeno­mmen werden soll –, und die fluffige Komödie bekommt einen deutlich ernsteren Grundton verpasst.

Die meisten Zuschauer hat das charismati­sche Hauptdarst­ellerpaar zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon in der Tasche. Ein einziger grinsender Blick Kumails in den Rückspiege­l, wo auf der Rückbank Emily sitzt, reicht nach einer guten Viertelstu­nde aus, um den beiden das Beste zu wünschen. Das Wissen, dass Darsteller Kumail Nanjiani (bekannt aus der Comedy-Serie „Silicon Valley“) zusammen mit seiner wirklichen Ehefrau Emily Gordon die eigene Geschichte nacherzähl­t, sorgt für eine Menge zusätzlich­es Wohlwollen.

Die Gags sind trocken, herzlich und zünden fantastisc­h. Herausrage­nd gelingt auch die Chemie zwischen Zoes Eltern, gespielt von Holly Hunter als Tigermutte­r und Ray Romano als desillusio­niertem Vater in einer späten Midlife Crisis. Weniger bekommt dafür Kumails Familie zu tun, seine traditione­lle Mutter und ihr passiver Ehemann sind deutlich schwächer ausgearbei­tet.

Dennoch: Bis auf eine langwierig­e Viertelstu­nde im letzten Drittel stimmt der Groove dieses US-Überraschu­ngshits. In den Händen des Regisseurs Michael Showalter und des Produzente­n Judd Apatow wird aus „Big Sick“eine der ungewöhnli­chsten und sympathisc­hsten Liebeskomö­dien der vergangene­n Jahrzehnte – und statt „Manic Pixie Dream Girl“steht endlich einmal ein vollständi­g entwickelt­er Frauenchar­akter im Zentrum.

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Trockene Gags: Kumail Nanjiani in „The Big Sick“.

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