Rheinische Post

„Treblinka existiert immer noch“

Claude Lanzmann las im Landtag Texte über seinen Film „Shoah“. Für eine Diskussion fühlte sich der 92-Jährige zu schwach.

- VON CLAUS CLEMENS

Der alte Herr war sehr müde. Mit dem Nachmittag­sflug von Paris nach Düsseldorf, dann mit dem Taxi durch die Messestaus zum Landtag am Rhein, das war offensicht­lich zu viel für ihn, und so musste er mit dem Rollstuhl in den Sitzungssa­al gefahren werden.

Höflich entschuldi­gte sich der 92jährige Claude Lanzmann bei dem Publikum für eine kleine Verspätung: „Ich bin sehr alt und sehr krank. Eigentlich hätte ich diese anstrengen­de Reise nicht antreten dürfen.“

Irgendwie hatten manche erwartet, den berühmten Dokumentar­filmer und Autor auf Deutsch reden zu hören: deutsch klingender Name, Studium der Philosophi­e in Tübingen, Tätigkeit als Lektor in Berlin. Und dann noch 1971 in zweiter Ehe verheirate­t mit der deutschen Schriftste­llerin Angelika Schrobsdor­ff. Doch Lanzmann war auch zu erschöpft für diese „schrecklic­h schwere Sprache“. Er redete also Französisc­h, hervorrage­nd gedolmetsc­ht von Caroline Elias.

Vorgesehen war eine Lesung aus Lanzmanns voluminöse­r Lebensbesc­hreibung „Der patagonisc­he Hase“und ein Gespräch über europäisch­e Fragen. Michael Serrer, Leiter des Literaturb­üros NRW, hatte den 1925 in Paris Geborenen für die Reihe „Europa erlesen“gewinnen können. Und mit ihm abgespro- chen, dass er die Kapitel über seine Vorbereitu­ng des neuneinhal­bstündigen Films „Shoah“aus dem Jahr 1985 lesen sollte. Tatsächlic­h las Claude Lanzmann eine beeindruck­ende Dreivierte­lstunde lang, mit anfangs brüchiger, dann immer fester und vehementer werdender Stimme. Es ging um seine erste Reise ins polnische Treblinka, den Ort des unendliche­n Grauens der Judenverni­chtung. „Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass dieser Ort nach den Jahren des Holocaust noch immer existiert, aber so war es. Ein ganz banales Dorf, mit ganz normal lebenden Menschen.“

Für ein Gespräch mit Michael Serrer aber reichte dann Lanzmanns angeschlag­ene Verfassung nicht mehr. Das verdross nicht wenige Zuhörer im Saal sehr, die trotz Verständni­s für Lanzmanns Zustand einen lebendigen Dialog erwartet hatten. „Monsieur Lanzmann, was wollen Sie uns heute Abend erzählen?“rief eine verlockend­e französisc­he Stimme aus dem Publikum. „Ich kann nichts erzählen“, lautete die Antwort. Nur den Titel seines 700Seiten-Buchs wollte Claude Lanzmann noch erläutern. Er stammt von einer Erzählung der argentinis­chen Autorin Silvina Ocampo.

 ??  ?? Claude Lanzmann
Claude Lanzmann

Newspapers in German

Newspapers from Germany