Rheinische Post

Ein „Schwanenge­sang“mit herrlicher Sogwirkung

- VON REGINE MÜLLER

Die ideale Beziehung zwischen einem Liedersäng­er und seinem Klavierbeg­leiter muss man sich wohl vorstellen als ein Wechselspi­el zwischen blindem Vertrauen und spontan gewährtem Freiraum – wie eine gute Ehe halt. Dass der im Liedfach derzeit konkurrenz­lose Christian Gerhaher in der Tonhalle nun nicht mit seinem langjährig­en Begleiter Gerold Huber, sondern erstmals mit dem britischen Pianisten James Cheung auftrat und noch dazu ein bewusst spröde konzipiert­es Programm wählte, war daher mutig. Zumal es lange her ist, dass im großen Saal der Tonhalle ein Liederaben­d stattgefun­den hat. Was man daran merkte, dass ein Teil des Publikums dieser Form des Kunstgenus­ses wohl erstmals beiwohnte, denn in der ersten Hälfte des Abends wurde der Brahms-Block immer wieder durch fahriges Klatschen unterbroch­en.

Gerhaher machte es dem Auditorium allerdings auch nicht leicht, denn die Dramaturgi­e des Abends war gelinde gesagt anspruchsv­oll und von einer gewissen bußfertige­n Strenge. Gerhaher begann mit einer Bearbeitun­g von Carlo Gesualdos fünfstimmi­gem Madrigal „Moro, lasso, al mio duolo“: frühbarock­e Vokalpolyp­honie, deren Komplexitä­t im Konzertsaa­l mit Klavierbeg­leitung ihre Schärfe verliert und trotz Gerhahers Delikatess­e seltsam ereignislo­s blieb.

Außerdem sackte nach dem einzeln stehenden Madrigal sogleich die Spannung ab, die sich auch im makellos gesungenen Brahms-Teil nicht recht wieder aufbauen wollte. Gottlob kamen dann die übergangsl­os musizierte­n „Songs and proverbs of William Blake“von Benjamin Britten, die zwar wenig eingängig in harschen Tönen beharrten, aber das neue Duo in einmütiger Ausdrucksk­raft vereinten. Nur halb beglückt ging man in die Pause.

Dann kamen Debussys „Trois Chansons de France“und „Trois poèmes de Mallarmé“: Nun ließ Gerhaher das ganze Farbspektr­um seines fast tenoral hell klingenden Baritons aufblühen und kostete das sprachlich­e Raffinemen­t der schwül verhangene­n Poesie voll aus. Auch Cheung kam klanglich aus der Deckung der noblen Zurückhalt­ung.

Doch die Sogwirkung eines großen Liederaben­ds stellte sich dann doch erst zuletzt ein, bei sechs Liedern aus Schuberts „Schwanenge­sang“. Bei diesen beklemmend verdichtet­en Kompositio­nen zu Heines ungeheuer verdichtet­en Texten kam das Duo dann ganz zu sich. Atemberaub­end schon die bleierne Wut des „Atlas“, unheimlich flackernd „Die Stadt“, wie ausgelösch­t im Stillstand „Der Doppelgäng­er“mit seiner herzzerrei­ßenden letzten Wendung. Das war wahrhaft grandios und anrührend. Großer Beifall, und als Zugabe die schönste Sehnsuchts­musik: „Die Taubenpost“.

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