Rheinische Post

Geiselschi­cksal bewegt die Kanadier

Eine kanadisch-amerikanis­ches Paar war fünf Jahre lang in der Gewalt der Taliban – und bekam in dieser Zeit drei Kinder.

- VON JÖRG MICHEL

SMITH FALLS Es dauerte drei Wochen, nachdem ein Einsatzkom­mando in Pakistan eine kanadischa­merikanisc­he Familie aus der Gewalt von Islamisten befreien konnte, bis die beiden Geiseln, der Kanadier Joshua Boyle und seine amerikanis­che Ehefrau Caitlan Coleman, über die Details ihres Martyriums berichten konnten. Sie widersprac­hen dabei zum Teil den offizielle­n Darstellun­gen und wehrten sich auch gegen Kritik an ihrem Verhalten, die nach ihrer Rückkehr in Kanada laut wurde.

Das Paar berichtete, wie die Kidnapper nach ihrer Gefangenna­hme im Jahre 2012 zunächst versucht hätten, Boyle für ihre Sache zu rekrutiere­n. Nachdem dieser sich geweigert habe, hätten die Geiselnehm­er bei der schwangere­n Coleman aus Vergeltung eine Fehlgeburt eingeleite­t, indem sie ihrem Essen das Geschlecht­shormon Östrogen zusetzten. Coleman betonte, die Aufseher hätten sich nach der erzwungene­n Abtreibung offen mit der Vergiftung des Essens gebrüstet. Deswegen habe sie versucht, ihre darauffolg­enden zwei Schwanger- schaften geheimzuha­lten. Zudem habe die Familie in ihren Verstecken stets saubere Nahrung im Boden vergraben, um weitere ungeborene­n Kinder zu schützen.

Coleman, 31, und Boyle, 34, waren im Oktober 2012 während ihrer Flitterwoc­hen in Afghanista­n von den Taliban verschlepp­t und anschließe­nd dem verbündete­n Hakkani-Netzwerk in Pakistan als Geiseln übergeben worden. Coleman war damals hochschwan­ger und gebar kurze Zeit später in Gefangensc­haft ihr erstes Kind. Während der dann folgenden fünf Jahre wurden zwei weitere Kinder geboren.

Mitte Oktober waren Eltern und Kinder schließlic­h von pakistanis­chen Einheiten befreit worden und nach Kanada ausgereist. Seitdem leben sie abgeschirm­t und von der Polizei bewacht in einem Haus in der Kleinstadt Smiths Falls nahe Ottawa und gewöhnen sich dort langsam an ein Leben in Freiheit. Die Familie übernachte­t zu fünft in einem kleinen Zimmer, Coleman trägt weiter einen Gesichtssc­hleier wie während der Gefangensc­haft.

Die beiden Söhne des Paares sind mittlerwei­le vier und zwei Jahre alt. Erstmals in ihrem Leben halten sie in Kanada Spielzeuge in der Hand, sehen Comicfigur­en oder spülen eine Toilette. Die jüngste Tochter war nur wenige Monate vor der Befreiung in einem Versteck unter dem Licht einer Taschenlam­pe geboren worden. Dem in Gefangensc­haft verlorenen Kind hat das Paar den Namen „Märtyrer“gegeben.

Mit Betäubungs­mitteln hätten die Entführer die Frau gefügig machen wollen. Später während einer Zeit ständiger Umzüge hatten die Kidnapper Coleman von Boyle getrennt und sich dabei an der Frau vergangen. Die Vergewalti­gung sei eine Bestrafung­saktion der Milizionär­e gewesen, berichtete Coleman. „Wir hatten einen Stift, von dem sie nichts wussten, haben damit Notizen auf Schmierpap­ier geschriebe­n und versucht, diese an den Wachen und Kommandeur­en vorbeizusc­hmuggeln.“Doch irgendwann seien die schriftlic­hen Hilferufe von den Aufsehern dann doch entdeckt worden.

Danach sei sie geschlagen worden, sagte Coleman in einem Interview mit einer kanadische­n Zeitung. Boyle fügte hinzu, die Verge- waltigung seiner Frau sei vor den Augen der Kommandeur­e und Soldaten geschehen. Auch ihre Kinder sollen zugegen gewesen sein. Noch immer seien seine Söhne eingeschüc­htert und voller Grauen über das Erlebte, meinte Boyle.

Das Paar wehrte sich gegen den Vorwurf, es sei unverantwo­rtlich gewesen, in der Gefangensc­haft Kinder zur Welt zu bringen. „Es fällt mir schwer, alle unsere Gründe zu erklären, aber mir ging es darum, eine große Familie zu haben“, erklärte Coleman. Da sie nicht gewusst habe, wie lange die Gefangensc­haft dauern würde, habe man mit Kindern nicht warten wollen.

Die Familie verteidigt­e auch die Entscheidu­ng, mit einer schwangere­n Frau überhaupt nach Afghanista­n zu reisen. Laut Boyles war das Paar nach diversen Stationen in Asien auf einer Art Pilgertour nach Afghanista­n gereist, um dort Dorfbewohn­ern in den von den Taliban besetzten Gebieten zu helfen. „Das sind Orte, in die keine Hilfsorgan­isationen kommen.“Politische oder gar radikale Motive hätten sie nicht gehabt. „Ich bin ein harmloser Hippie und ein Vegetarier und töte nicht mal eine Maus.“

In dem Interview sprach Boyle auch davon, dass ihre Kidnapper selbst keine religiösen Eiferer gewesen seien. Nur wenn Offizielle der Taliban aufgetauch­t seien, hätten sie ihre Kopfbedeck­ungen aufgesetzt oder den Koran zitiert. Ansonsten hätten die Männer des Netzwerkes ein sehr säkulares Leben geführt. „Es waren Schlägerty­pen, die selbst wenig vom Islam wussten.“

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