Von wegen Dickschädel
Der Mönchengladbacher Fußballprofi Christoph Kramer hat sich bei einem Zusammenprall am Kopf verletzt. Immer wieder erleiden Spieler schwere Gehirnerschütterungen. Neurologen warnen vor den Folgen und fordern mehr Aufklärung.
DÜSSELDORF Die Krankenschwester im Mönchengladbacher Spital Maria Hilf war durchaus erstaunt über die Fülle an prominenten Patienten im Minutentakt. „Wie viele kommen denn noch?“, fragte sie verwundert. Zuerst war der Mönchengladbacher Fußballprofi Christoph Kramer, dann sein Teamkollege Tony Jantschke und später auch noch Bayern Münchens Offensivkraft James Rodriguez zur Untersuchung ihrer Kopfverletzungen eingeliefert worden. Während Kramer glimpflich davonkam und das Ende der Partie bereits wieder im Stadion ver- gehenden Störung der Hirnfunktion. Strukturelle Hirnschäden, also eine Schädigung des Hirngewebes, finden sich dabei in der Regel nicht. Typische Symptome, die oft mit Verzögerung von einigen Stunden auftreten können: Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen, Verwirrtheit sowie Erinnerungslücken. „Werden solche Symptome nicht richtig erkannt und vollständig auskuriert, kann es zu bleibenden Schäden kommen. Wie lange ein Spieler aus dem Trainings- und Spielbetrieb genommen werden sollte, hängt stark vom Einzelfall ab“, sagt der Düsseldorfer Sportarzt und Neurologe Rafael-Michael Löbbert. „Deshalb schauen wir uns, wenn möglich, Videos des Ereignisses an, um besser nachvollziehen und einschätzen zu können, was genau passiert ist.“Im Fußball, sagt Löbbert, habe man die Gefahr lange nicht ernstgenommen: „Die Branche tut sich mit Veränderungen schwer. Erst langsam beginnt ein Umdenken. Die Regeln zum Schutz von Spielern wurden immerhin verbessert.“
Beim Fußball wirken extreme Kräfte auf den Körper ein. Vieles davon wurde in dem „Männersport“lange hingenommen. Irgendwann sind Schienbeinschoner eingeführt worden. Die Folge: Aus extrem komplizierten Brüchen sind zumeist glatte geworden. Im Kopfbereich sind die Spieler bis heute erheblichen Belastungen ausgesetzt – der Ball kommt mit bis zu 100 Stundenkilometern angerauscht, dazu landen Ellbogen häufig Volltreffer. Das Spiel wird immer athletischer, die Knochen aber nicht im gleichen Maße robuster. „Bei einem Kopfball etwa wirken G-Kräfte des 30- bis 40fachen der Erdanziehungskraft auf den Kopf ein“, erklärt Löbbert. „Wenn man bedenkt, dass es beim normalen Gehen über die Straße nur etwa ein G ist, wird schnell die Dimension deutlich.“In anderen Sportarten ist es noch extremer: Im Boxen sind es bei Wirkungstreffern zwischen 50 und 100, beim Football und Eishockey 80 bis 100 G.
„Ein gezieltes Training von Kraft, Technik und kognitiven Fähigkeiten ist erforderlich, damit ein Sportler diese Belastungen aushalten kann“, sagt Löbbert. „Er muss im Spiel jederzeit wahrnehmen können, was um ihn herum passiert und dementsprechend reagieren können.“
Der DFB hat im Nachwuchsbereich reagiert. Der Verband empfiehlt, erst mit 13 oder 14 Jahren mit dem Kopfballtraining anzufangen – und dann zunächst mit einem leichteren Ball. Es halten sich aber viele nicht an die Vorgaben. „Man wird sich Überlegungen machen müssen, wie man Spieler besser schützen kann“, sagt Dieter Hecking. Gladbachs Trainer könnte sich vorstellen, einen Kopfschutz für Spieler einzuführen: „Man müsste da natürlich prüfen, inwieweit es die Spieler beeinträchtigt.“
Löbbert, der den Eishockey-Klub Düsseldorfer EG betreut, hält es für einen wichtigen Schritt, dass sich Verantwortliche des Themas annehmen. Die Tragen eines Helmes hält er im Fußball nicht für praktikabel. „Ein Helm schützt in erster Linie vor äußeren Verletzungen. Die auf den Kopf einwirkenden Kräfte werden zwar verteilt und abgeschwächt, können aber durch ihn nicht wie bei einem Blitzableiter abgeleitet werden“, sagt er. Wichtiger wäre es, am Saisonanfang eine neurologische Untersuchung aller Spieler verpflichtend vorzuschreiben.
Löbbert fordert eine weitere Änderung des Regelwerks: Ein Spieler, der am Kopf getroffen wurde, müsste für eine bestimmte Zeit und zusätzlich zum bestehenden Kontingent ausgewechselt werden können, um ihn in ruhiger Umgebung zu untersuchen. Für die Gesundheit könnte diese Auszeit durchaus förderlich sein.