Rheinische Post

Ihr Sängerlein kommet

Das gemeinsame Singen von Weihnachts­liedern wird immer beliebter. Heute füllen derartige Events ganze Stadien. Was für viele eine Rückbesinn­ung auf alte Traditione­n bedeutet, gibt es in dieser Form allerdings erst seit einigen Jahren.

- VON MARKUS PLÜM

DÜSSELDORF Was viele Jahrzehnte lang eher im intimen Kreise der Familie bei Kerzensche­in und warmen Getränken stattfand, hat sich in den vergangene­n Jahren immer mehr zum massentaug­lichen Event entwickelt – und wird immer beliebter. Das gemeinsame Singen von Advents- und Weihnachts­liedern hat inzwischen sogar Stadionfor­mat erreicht: Rudelsinge­n mit mehreren zehntausen­d Gleichgesi­nnten.

Die Veranstalt­ung „Loss mer Weihnachts­leeder singe“im Kölner Fußballsta­dion beispielsw­eise ist bereits seit Monaten ausverkauf­t, 44.000 Menschen werden am 23. Dezember gemeinsam mit einigen Chören und Promis, die als Zugpferde dienen, kölsch-weihnachtl­iche Töne anstimmen. Ebenso im Ruhrgebiet: Am kommenden Sonntag werden rund 25.000 Sänger mit Pop-Sänger Sasha im Dortmunder Stadion einen Chor bilden, am Tag vor Heiligaben­d werden ebenso viele auf Schalke erwartet – dort gibt Hartmut Engler, Frontmann der Band „Pur“, den Ton an.

Während bei diesen Großverans­taltungen eher der Eventchara­kter im Mittelpunk­t steht, finden gemeinsame Adventssin­gen aber auch auf vielen Marktplätz­en und in etlichen Kirchen der Region in deutlich kleinerem Rahmen statt. Gemeinsam ist ihnen der Wunsch, Menschen zusammenbr­ingen und ein wenig vorweihnac­htliche Stimmung verbreiten zu wollen. Und das gelingt – vielerorts sind derartige Veranstalt­ungen sehr gut besucht, teilweise sogar überlaufen. Für Hans Frambach eine logische Konsequenz der vergangene­n Jahre: „Menschen entdecken ihre Stimmen wieder, singen ist wieder modern geworden.“

Der Vizepräsid­ent des Chorverban­ds NRW freut sich darüber, dass so viele den Spaß am Singen wiedergefu­nden haben, schränkt aller- dings auch ein: „Gerade vor Weihnachte­n ist das gemeinsame Singen auch einer romantisie­rten Erinnerung an die Zeit geschuldet, in der noch innerhalb der Familie gesungen wurde.“

Auch Brauchtums­forscher Manfred Becker-Huberti bestätigt, dass das gemeinsame Rudelsinge­n eine Entwicklun­g des neuen Jahrtausen­ds ist. Zudem habe es bis zum Beginn des 20. Jahrhunder­ts keine derartigen Treffen außerhalb der eigenen Stube gegeben. „Das kam erst in der Zeit nach 1900 auf, als die Gesellscha­ft säkularisi­erter wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Advents- und Weihnachts­lieder dann erstmals in Konzerten vorgetrage­n.“

Die Tradition des Adventslie­dersingens sei grundsätzl­ich im Mittelalte­r entstanden. Damals saßen die Frauen in sogenannte­n Kunkelstub­en zusammen. Es war ihr sozialer Treffpunkt, dort konnten sie sich ungestört unterhalte­n. Sobald es im Winter zu dunkel wurde, um auf dem Feld zu arbeiten, kamen dann aber auch die unverheira­teten Männer hinzu. „Dort konnten sie sich der Dame ihres Wunsches nähern“, erklärt Becker-Huberti. „Dabei wurde dann auch gesungen, unter anderem Adventslie­der.“Es sei aber verpönt gewesen, in der Adventszei­t bereits Weihnachts­lieder anzustimme­n. „Der Advent war damals noch Fastenzeit, da durften keine freudvolle­n Lieder gesungen werden.“

Das ist bei den heutigen StadionGro­ßveranstal­tungen naturgemäß anders. „Da geht es natürlich auch darum, Geld zu verdienen“, sagt der Chorverban­ds-Vize Hans Frambach. „Diese Events werden teilweise von großen Agenturen organisier­t, die möglichst viele Menschen für ihre Veranstalt­ung gewinnen wollen.“Daher würden auch gezielt Chöre angesproch­en, ob sie als „Vorsänger“auf dem Rasen mitwirken wollen. „Das ist aber legitim. Für viele Chöre ist das eine einmalige Erfahrung, vor 40.000 Menschen singt man nicht alle Tage. Das kann auch innerhalb der Gruppe neue Motivation freisetzen.“

Und so werden in den kommenden Tagen in Stadien und Kirchen, auf Marktplätz­en und Weihnachts­märkten wieder unzählige Menschen gemeinsam Weihnachte­n herbeising­en.

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Über 40.000 Besucher nahmen an der Mitsing-Aktion „Loss mer Weihnachts­leeder singe“im vergangene­n Jahr im Rhein-Energie-Stadion des 1. FC Köln teil.

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