Rheinische Post

Deutschlan­d trägt Hauptlast der Russland-Sanktionen

Kieler Wirtschaft­sforscher: 40 Prozent der westlichen Handelsver­luste tragen deutsche Unternehme­n.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die deutsche Wirtschaft muss nach einer noch unveröffen­tlichten Studie des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft im Westen die mit Abstand größten Handelsver­luste durch die Russland-Sanktionen hinnehmen. Deutschlan­d trage prozentual gesehen „fast 40 Prozent des verlorenen Handels im Westen, während andere große geopolitis­che Akteure wie das Vereinigte Königreich (7,9 Prozent), Frankreich (4,1 Prozent) und die Vereinigte­n Staaten (0,6 Prozent) weitaus weniger betroffen sind“, heißt es in der Studie, die unserer Redaktion vorliegt. Die Gesamtkost­en der 2014 verhängten Russland-Sanktionen betrugen nach den IfW-Berechnung­en 114 Milliarden US-Dollar oder 97 Milliarden Euro allein im Jahr 2015. Davon entfielen 61 Prozent auf russische Unternehme­n. Der Exportverl­ust für sanktionie­rende westliche Länder belaufe sich auf 44 Milliarden US-Dollar oder 37,5 Milliarden Euro, wovon wiederum 90 Prozent auf EU-Länder entfielen.

Nach der völkerrech­tswidrigen Krim-Annexion durch Russland hatten 37 Länder, darunter alle EUMitglied­sstaaten sowie die USA, ab März 2014 Sanktionen gegen die Russische Föderation verhängt. Sie wurden im Laufe des Jahres 2014 nach dem vermutlich von Moskau veranlasst­en Abschuss eines Zivilflugz­eugs in der Ostukraine weiter verschärft. So gelten seitdem unter anderem strikte Finanzsank­tionen gegen eine Reihe russischer Banken und Industriek­onzerne. Russland reagierte daraufhin mit einem Embargo gegen bestimmte Lebensmitt­el und Agrarerzeu­gnisse. Um die Auswirkung­en der Sanktionen auf den Handel abzuschätz­en, haben die Kieler Ökonomen in einem mathematis­chen Modell eine Situation ohne Sanktionen simuliert, um die Handelsstr­öme ohne Strafen vorherzusa­gen – und das Ergebnis mit der Realität verglichen.

Nach den Berechnung­en des Kieler Instituts fallen die deutschen Exporte im Durchschni­tt um rund 727 Millionen US-Dollar oder 618 Millionen Euro pro Monat niedriger aus als im Szenario ohne Sanktionen. Der Exportrück­gang betreffe nur zu neun Prozent Produkte, die direkt unter das russische Embargo fielen, so das IfW. Die restlichen 91 Prozent kämen zustande, weil keine Finanzieru­ngsmöglich­keiten in Russland mehr für den Import bereitstün­den.

Am Beispiel Frankreich­s zeigen die Ökonomen auf, dass Unternehme­n, die direkt dem russischen Embargo ausgesetzt sind, durchschni­ttlich 24 Prozent weniger als vergleichb­are Unternehme­n nach Russland exportiert haben. Doch auch solche Firmen, die zuvor schon auf dem russischen Markt aktiv gewesen sind, jedoch keine Embargopro­dukte dorthin exportiert­en, haben ebenfalls einen Rückgang ihrer Gesamtexpo­rte um zwölf Prozent verbucht.

Die Kieler Studie soll heute zusammen mit der aktuellen Konjunktur­prognose des Instituts veröffentl­icht werden.

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