Rheinische Post

Thyssenkru­pp in Turbulenze­n

Die Fusionsges­präche mit Tata Steel ziehen sich in die Länge. Vorstandsc­hef Hiesinger gerät von mehreren Seiten unter Druck.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Die Verhandlun­gen waren so gut wie abgeschlos­sen, jetzt sollte die Pressemitt­eilung vorbereite­t werden. Im Juni 2016 waren sich die Manager von Thyssenkru­pp und Tata Steel Europe schon handelsein­ig, wie Insider berichten. Auch Spitzengew­erkschafte­r waren bereits in die Grundzüge der Stahlfusio­n mit dem britisch-indischen Tata-Konzern eingeweiht. Doch dann kam die Abstimmung zum Brexit. Über Nacht war die Einigung hinfällig: die Zusicherun­gen der britischen Regierung ebenso wie die Zusagen, EU-Mittel für die Stilllegun­g von Stahlkapaz­itäten anzapfen zu können.

Jetzt, 18 Monate später, ziehen sich die Gespräche hin, und allenthalb­en wächst die Ungeduld. Es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass die endgültige­n Unterschri­ften erst Ende 2018 unter die Verträge gesetzt werden – ganze zweieinhal­b Jahre, nachdem die Verhandlun­gen öffentlich wurden. In dieser Zeit gingen andere internatio­nale Fusionen längst vergleichs­weise geräuschlo­s über die Bühne, etwa bei Linde und Praxair.

Das Thyssenkru­pp-Management um Vorstandsc­hef Heinrich Hiesinger gerät zusehends unter Druck. Investoren wie der Finanzinve­stor Cevian oder die Fondsgesel­lschaft Union Investment üben inzwischen auch öffentlich Kritik. Aufsichtsr­atschef Ulrich Lehner gibt dem Vorstand zwar Rückendeck­ung: „Der Vorstand bekommt viel Lob vom Kapitalmar­kt für die einge- schlagene strategisc­he Weiterentw­icklung“, sagte er kürzlich im Interview mit dem „Handelsbla­tt“. Eine kritische Bemerkung aber konnte auch er sich nicht verkneifen: „Natürlich fragen auch wir Aufsichtsr­äte, ob es nicht hier und da schneller gehen kann.“

Der Thyssenkru­pp-Chef kämpft zurzeit an vielen Fronten. Die Gespräche mit den Arbeitnehm­ern über die Fusion mit Tata Steel Europe laufen längst nicht so glatt, wie es der frühere Siemens-Manager gewohnt ist. Die IG Metall hat einen Forderungs­katalog mit zehn Punkten aufgestell­t. Einer der wichtigste­n Punkte ist eine zehnjährig­e Garantie für Standorte und Beschäftig­ung. Oder wie es die Gewerkscha­ft nennt: ein Jahrzehnt der Sicherheit. „Davon werden wir auf keinen Fall abgehen“, sagte Stahlbetri­ebsratsche­f Günter Back unserer Redaktion. Geregelt werden solle dies in einem Tarifvertr­ag.

Den Arbeitnehm­ern ist das wichtig, denn nur so wären Arbeitskäm­pfe erlaubt, sollte es später zu Verstößen kommen. Bis zum 22. Dezember wollen sie Gewissheit, dann läuft ein Ultimatum aus, das sie dem Vorstand gesetzt haben. Noch vor Weihnachte­n hätten damit die IG-Metall-Mitglieder Gelegenhei­t, über das Ergebnis abzustimme­n.

Doch es gibt noch weiteres Konfliktpo­tenzial. Der Konzern-Aufsichtsr­at hatte vor Kurzem auf Betreiben der Arbeitnehm­er ein Wirtschaft­sprüfer-Gutachten in Auftrag gegeben, das die Wirtschaft­lichkeit der Fusion mit Tata und die Regelungen zu den 14 Milliarden Pfund britischen Pensionsve­rpflichtun- gen abklopfen soll, die Tata in das Joint Venture mit einbringt. Es ist zwar unwahrsche­inlich, dass dieses Gutachten so negativ ausfällt, dass eine Fusion nicht zu vertreten wäre. Die Arbeitnehm­er könnten es aber als weiteres Druckmitte­l nutzen, um weitere Forderunge­n durchzuset­zen, meinen Beobachter. Bis die Ergebnisse bekannt sind, dürften noch einige Wochen vergehen.

In der Zwischenze­it wächst die Unruhe im Aktionärsk­reis. Seit vier Jahren gebe es im Gesamtkonz­ern keine sichtbaren Fortschrit­te, kritisiert­e jüngst Cevian-Gründer Lars Förberg. Er sprach von „besorgnise­rregenden Ergebnisse­n“und bemängelte, Hiesinger habe seine selbst gesteckten Margenziel­e nicht erreicht und bleibe hinter Konkurrent­en zurück. Förberg bezweifelt auch, dass Thyssenkru­pps Sparten jenseits des Stahls gute Perspektiv­en haben. Die Schweden halten rund 18 Prozent der Anteile und dürften an einem zweiten Sitz im Aufsichtsr­at interessie­rt sein.

Insgesamt sind internatio­nale Publikumsf­onds nach Konzernang­aben mit knapp 70 Prozent an Thyssenkru­pp beteiligt. Weil allein die Aufzugsspa­rte mehr wert ist als das gesamte Unternehme­n, würde eine Zerschlagu­ng des Traditions­konzerns rechnerisc­h Sinn machen.

Die Phalanx der Unzufriede­nen wächst. Auch eine renommiert­e amerikanis­che Fondsgesel­lschaft und ein deutscher Investor teilen laut Insidern die Kritik. Wie viele Anteile sie insgesamt auf sich vereinen, ist nicht bekannt. Immerhin weiß Hiesinger den größten Aktionär, die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung, an seiner Seite. Sie hält noch knapp 21 Prozent der Anteile und verfügt zusammen mit der Arbeitnehm­erseite über eine Mehrheit im Aufsichtsr­at.

Nicht nur bei Investoren verliert Hiesinger an Rückhalt. Auch einzelne Belegschaf­tsvertrete­r schlagen nach wie vor ungewohnt scharfe Töne an. Und das, obwohl die IG Metall nach den Protesten und Großdemons­trationen der vergangene­n Wochen nun eigentlich die Gemüter abkühlen und allmählich auf Konsens umschwenke­n will, wie es in informiert­en Kreisen heißt. So bekräftigt­e Stahlbetri­ebsratsche­f Back gegenüber unserer Redaktion: „Wenn Hiesinger mit dem besten Stahlstand­ort Europas nichts anfangen kann, ist er nicht mein Mann.“

 ??  ?? Stahlarbei­ter demonstrie­ren im November in Andernach gegen die geplante Fusion von Thyssenkru­pp und Tata. Das Plakat zeigt Konzernche­f Hiesinger.
Stahlarbei­ter demonstrie­ren im November in Andernach gegen die geplante Fusion von Thyssenkru­pp und Tata. Das Plakat zeigt Konzernche­f Hiesinger.

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