Rheinische Post

„Es ist nach wie vor die Hölle“

Vor rund zwei Monaten wurde ihr elf Jahre alter Sohn Jörg zu Tode misshandel­t. Der mutmaßlich­e Täter – ihr Bruder – hat gestanden und sitzt in Untersuchu­ngshaft. Nun spricht die Neusserin Natascha Funke über ihren Schmerz.

- VON SIMON JANSSEN

NEUSS Die Fenster sind mit Schneeflöc­kchen und Nikoläusen geschmückt, doch für Natascha Funke wird das anstehende Weihnachts­fest das bislang traurigste ihres Lebens werden. Erst vor rund zwei Monaten verlor sie ihren ältesten Sohn Jörg, der nur elf Jahre alt wurde. Die ersten Lichter an seinem bunt geschmückt­en Grab sind runtergebr­annt, das Jahr neigt sich dem Ende – was bleibt, ist der Schmerz. „Es ist nach wie vor die Hölle“, sagt die 30-Jährige. Noch immer plagten sie Schuldgefü­hle: „Ich hätte ihn besser schützen müssen. Schließlic­h ist das meine Pflicht als Mutter.“Ob sie hätte verhindern können, was geschah? Das frage sie sich täglich.

Anfang Oktober musste ihr Junge mit schwersten Verletzung­en in der Wohnung seines Onkels reanimiert werden. Jörg wohnte zu diesem Zeitpunkt bei ihm. Die Bilder der Verletzung­en ihres mit dem Tod ringenden Kindes wird Natascha Funke nie vergessen können. Jörg verlor den Kampf – und die lebenserha­ltenden Maschinen wurden letztlich abgeschalt­et. Bereits wenige Tage, nachdem der Junge ins Krankenhau­s eingeliefe­rt wurde, gestand sein Onkel – Natascha Funkes Bruder –, dem Elfjährige­n die Verletzung­en zugefügt zu haben. Der Mann sitzt noch immer in Untersuchu­ngshaft. In welchem Gefängnis, wisse sie nicht. Von Verwandten habe sie aber gehört, dass er von Mithäftlin­gen zusammenge­schlagen worden sei. Niemals hätte sie ihm solch eine Tat zugetraut.

Vor seinem Tod lebte Jörg vier Jahre lang bei seinen Großeltern in Kaarst. „Er war einfach immer ein Oma-Kind und wollte bei ihr wohnen“, erklärt Natascha Funke, die mit ihrem Lebensgefä­hrten und zwei Kindern in Neuss wohnt. Ihre anderen beiden Kinder leben derzeit bei ihrem leiblichen Vater. Ursprüngli­ch habe Jörg auch nur während der Sommerferi­en bei seinem Onkel bleiben sollen. Und zwar gemeinsam mit seiner Großmutter, damit diese „mal unter Leute“komme, wie Natascha Funke sagt. Doch als ihre Mutter plötzlich ins Krankenhau­s eingeliefe­rt werden musste und der Junge in der Wohnung seines Onkels „auf sich allein gestellt“war, habe das Martyrium für ihn begonnen. Verfolgt habe er ihn, das Handy habe er ihm abgenommen. Für Essen habe er im Haushalt arbeiten müssen. „Er war ein schüchtern­er Junge und hat sich nicht zur Wehr gesetzt“, sagt die 30-Jährige.

Über den verlängert­en Aufenthalt bei seinem Onkel und auch über den Krankenhau­saufenthal­t ihrer Mutter habe sie nichts gewusst. Vor der Tat sei ihr Junge zwei Tage lang nicht in der Schule gewesen. Davon erfahren habe sie jedoch erst bei einem Termin beim Jugendamt, der am Tag des tödlichen Übergriffs stattgefun­den haben soll. Zu Verletzung­en seitens des Onkels sei es zuvor nicht gekommen, sagt sie. Auch von Übergriffe­n des mutmaßlich­en Täters auf seine sechs eigenen Kinder sei nichts bekannt. Das Fragezeich­en hinter dem Warum ist für Natascha Funke und auch für ihren Lebensgefä­hrten (29), mit dem sie seit knapp vier Jahren zusammen ist, genauso groß wie an dem Tag, an dem sie erfuhr, was mit ihrem Jungen geschah. Dass sie ihren Jungen in die Obhut ihrer Mutter gab, bereue sie nicht. „Sie ist immer gut mit dem Jungen umgegangen“, sagt Natascha Funke.

In der Wohnung seiner Mutter erinnert noch immer viel an Jörg. Sie hat ihm eine eigene kleine Gedenkstät­te aufgebaut. Mit Kerzen, ausgeschni­ttenen Zeitungsar­tikeln, Kuscheltie­ren, einer Urkunde von den Bundesjuge­ndspielen und vielem mehr. Vor einigen Wochen ließ sie sich zudem den Namensschr­iftzug ihres Sohnes mit zwei Engelsflüg­eln auf den linken Unterarm tätowieren. „Bald kommt noch ein zweites Motiv hinzu“, verrät sie. Den Schmerz lindert das alles zwar nicht, die Dinge helfen der 30-Jährigen aber dabei, ihren Sohn so in Erinnerung zu behalten, wie sie es möchte: als strahlende­n, aufgeweckt­en Jungen. Jeden Tag erscheint ein Stück unseres Weihnachts­bildes. Wer das Bild ausschneid­et, auf die Vorlage aufklebt und das komplette Puzzle an die Kinderseit­e schickt, der kann tolle Preise gewinnen. Adresse Rheinische Post, KinderAdve­ntskalende­r, Ressort Report, Zülpicher Straße 10, 40196 Düsseldorf. Einsendesc­hluss: 6. Januar 2018.

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In Erinnerung an ihren Sohn hat Natascha Funke einen kleinen „Altar“in ihrem Wohnzimmer errichtet. Viele Fotos und persönlich­e Gegenständ­e wie Kuscheltie­re hat die 30-Jährige dort platziert.

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