Schönheit und Schrecken einer Stadt
Die Schau „Welcome to Jerusalem“im Jüdischen Museum Berlin könnte aktueller kaum sein. Das Haus ist wie eine Festung gesichert.
BERLIN Auch wenn Herodes einst den großen Tempel zerstören und nur noch Reste stehen ließ, ist es für die an der Klagemauer betenden Juden der Ort der ewigen Anwesenheit Gottes, an dem sich das Ende der Geschichte vollziehen und die Schöpfung vollkommen wird. Die Christen errichteten in der Altstadt die Grabeskirche, um an die Kreuzigung und Wiederauferstehung Jesu zu erinnern. Und die islamischen Heiligtümer Felsendom und AlAksa-Moschee stehen auf dem gen, Moscheen aufweist), wussten sie natürlich noch nicht, dass ihre Präsentation von historischen Exponaten, künstlerischen Reaktionen und medialen Inszenierungen mitten ins Herz der politischen Aktualität treffen würde.
Doch jetzt ist es plötzlich die Ausstellung der Stunde, und wer sich berufen fühlt, seine Meinung zum Jerusalem-Konflikt äußern zu müssen, sollte sie gesehen und erlebt haben. Denn sie will keine Wahrheiten verkünden und nicht die seit vielen Jahrhunderten schwelenden Konflikte schlichten, sondern Schlaglichter werfen auf komplexe Themen und komplizierte Fragen: Antworten finden muss jeder Besucher für sich selbst.
In 14 Räumen und Stationen wird Jerusalem mit alten Landkarten und neuen Videofilmen vermessen, folgt man den unaufhörlichen Pilgerströ- men und besucht die heiligen Stätten. Reiseberichte, kostbare Reliquien, Andenken und Münzen sind zu bestaunen, fein ziselierte historische Modelle der Klagemauer, der Grabeskirche und – besonders wertvoll – des Felsendoms. Ein Relief vom Triumphbogen ist zu sehen, der nach der Eroberung Jerusalems im Jahre 70 zu Ehren von Kaiser Titus errichtet wurde und zeigt, wie römische Legionäre ihr Raubgut aus dem geschändeten Tempel fortschaffen. Eine Malerei zeigt die Kommandeure eines teutonischen Tempelordens, eine Lithografie bezeugt die Himmelsreise Mohammeds, auf einem alten Foto sehen wir den deutschen Kaiser hoch zu Roß auf Pilgerfahrt gen Jerusalem. Ein Raum widmet sich der Geschichte von Palace- und King-David-Hotel, Orten an denen nur allzuoft über die Geschicke von Israel und Palästina beraten und entschieden wurde.
„Fromme Provokateure“kommen zu Wort: die „Mauer-Frauen“, die gegen den Machismus des orthodoxen Judentums und für die religiöse Gleichberechtigung kämpfen; oder die „Tempelberg-Bewegung“, die am Ursprungsort des Judentums den Tempel neu errichten will und den Konflikt zwischen Israel und Palästina immer wieder anheizt. Um den schwierigen Alltag im kulturellen Schmelztiegel besser zu verstehen, erzählen Menschen von ihren Sorgen und Nöten, auch die Schriftstellerin Zeruya Shalev sieht und hört man, die bei einem Attentat fast getötet wurde und bis heute unter traumatischen Ängsten und Schmerzen leidet.
Um die auf (zu) engem Raum präsentierten Exponate und Video-Installationen eindrücklicher und vorurteilsfreier erlebbar zu machen, wird auf eine Beschriftung verzichtet. Stattdessen bekommt der Besucher eine (kostenlose) Broschüre an die Hand, die Herkunft und Bedeutung jedes Ausstellungsstückes erklärt und einordnet. Mitbringen in das festungsartig gesicherte Jüdische Museum sollte man auf jeden Fall viel Neugier und noch mehr Zeit: nur dann kann man all die kostbaren Gegenstände und irrlich- ternden Film-Schnipsel zu einem eigenen Bild zusammensetzen. Wer dann noch Fragen hat, dürfte mit der Echtzeit-Dokumentation „24 Stunden Jerusalem“bestens bedient sein: 70 Kamerateams, israelische und palästinensische Filmemacher sowie Regisseure aus Deutschland haben einen Tag lang den Alltag von 90 Menschen in Jerusalem begleitet: Junge und Alte, Juden, Muslime und Christen. „Nächstes Jahr in Jerusalem!“So beschließen weltweit alle Juden ihre Lesung der Pessach-Haggada am Sederabend. Aber eigentlich gilt dieser Sehnsuchtssatz für alle, auch für Christen und Muslime.