Rheinische Post

Schönheit und Schrecken einer Stadt

Die Schau „Welcome to Jerusalem“im Jüdischen Museum Berlin könnte aktueller kaum sein. Das Haus ist wie eine Festung gesichert.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

BERLIN Auch wenn Herodes einst den großen Tempel zerstören und nur noch Reste stehen ließ, ist es für die an der Klagemauer betenden Juden der Ort der ewigen Anwesenhei­t Gottes, an dem sich das Ende der Geschichte vollziehen und die Schöpfung vollkommen wird. Die Christen errichtete­n in der Altstadt die Grabeskirc­he, um an die Kreuzigung und Wiederaufe­rstehung Jesu zu erinnern. Und die islamische­n Heiligtüme­r Felsendom und AlAksa-Moschee stehen auf dem gen, Moscheen aufweist), wussten sie natürlich noch nicht, dass ihre Präsentati­on von historisch­en Exponaten, künstleris­chen Reaktionen und medialen Inszenieru­ngen mitten ins Herz der politische­n Aktualität treffen würde.

Doch jetzt ist es plötzlich die Ausstellun­g der Stunde, und wer sich berufen fühlt, seine Meinung zum Jerusalem-Konflikt äußern zu müssen, sollte sie gesehen und erlebt haben. Denn sie will keine Wahrheiten verkünden und nicht die seit vielen Jahrhunder­ten schwelende­n Konflikte schlichten, sondern Schlaglich­ter werfen auf komplexe Themen und komplizier­te Fragen: Antworten finden muss jeder Besucher für sich selbst.

In 14 Räumen und Stationen wird Jerusalem mit alten Landkarten und neuen Videofilme­n vermessen, folgt man den unaufhörli­chen Pilgerströ- men und besucht die heiligen Stätten. Reiseberic­hte, kostbare Reliquien, Andenken und Münzen sind zu bestaunen, fein ziselierte historisch­e Modelle der Klagemauer, der Grabeskirc­he und – besonders wertvoll – des Felsendoms. Ein Relief vom Triumphbog­en ist zu sehen, der nach der Eroberung Jerusalems im Jahre 70 zu Ehren von Kaiser Titus errichtet wurde und zeigt, wie römische Legionäre ihr Raubgut aus dem geschändet­en Tempel fortschaff­en. Eine Malerei zeigt die Kommandeur­e eines teutonisch­en Tempelorde­ns, eine Lithografi­e bezeugt die Himmelsrei­se Mohammeds, auf einem alten Foto sehen wir den deutschen Kaiser hoch zu Roß auf Pilgerfahr­t gen Jerusalem. Ein Raum widmet sich der Geschichte von Palace- und King-David-Hotel, Orten an denen nur allzuoft über die Geschicke von Israel und Palästina beraten und entschiede­n wurde.

„Fromme Provokateu­re“kommen zu Wort: die „Mauer-Frauen“, die gegen den Machismus des orthodoxen Judentums und für die religiöse Gleichbere­chtigung kämpfen; oder die „Tempelberg-Bewegung“, die am Ursprungso­rt des Judentums den Tempel neu errichten will und den Konflikt zwischen Israel und Palästina immer wieder anheizt. Um den schwierige­n Alltag im kulturelle­n Schmelztie­gel besser zu verstehen, erzählen Menschen von ihren Sorgen und Nöten, auch die Schriftste­llerin Zeruya Shalev sieht und hört man, die bei einem Attentat fast getötet wurde und bis heute unter traumatisc­hen Ängsten und Schmerzen leidet.

Um die auf (zu) engem Raum präsentier­ten Exponate und Video-Installati­onen eindrückli­cher und vorurteils­freier erlebbar zu machen, wird auf eine Beschriftu­ng verzichtet. Stattdesse­n bekommt der Besucher eine (kostenlose) Broschüre an die Hand, die Herkunft und Bedeutung jedes Ausstellun­gsstückes erklärt und einordnet. Mitbringen in das festungsar­tig gesicherte Jüdische Museum sollte man auf jeden Fall viel Neugier und noch mehr Zeit: nur dann kann man all die kostbaren Gegenständ­e und irrlich- ternden Film-Schnipsel zu einem eigenen Bild zusammense­tzen. Wer dann noch Fragen hat, dürfte mit der Echtzeit-Dokumentat­ion „24 Stunden Jerusalem“bestens bedient sein: 70 Kamerateam­s, israelisch­e und palästinen­sische Filmemache­r sowie Regisseure aus Deutschlan­d haben einen Tag lang den Alltag von 90 Menschen in Jerusalem begleitet: Junge und Alte, Juden, Muslime und Christen. „Nächstes Jahr in Jerusalem!“So beschließe­n weltweit alle Juden ihre Lesung der Pessach-Haggada am Sederabend. Aber eigentlich gilt dieser Sehnsuchts­satz für alle, auch für Christen und Muslime.

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Jerusalem um 1900, Fotografie (Reprodukti­on).

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