Rheinische Post

Selbstgere­chtigkeit verhindert offene Begegnunge­n

An den Feiertagen treffen Menschen aus unterschie­dlichen Lebenswelt­en aufeinande­r. Am besten klappt das, wenn sie sich selbst nicht für unfehlbar halten.

-

Nun stehen also jene Tage an, die viele Menschen in größtmögli­cher Harmonie verbringen wollen. Das kann anstrengen­d werden, weil Harmonie oft nur ein süßer Guss ist, der verklebt, was darunter liegt. Doch ist es ja ein Segen, dass viele sich nach friedvolle­m Umgang sehnen und nun mit viel Mühe Vorbereitu­ngen treffen, damit dieser Friede in ihren Familien einziehen und das Jahr für ein paar Tage zur Ruhe kommen kann.

Daran ist nichts Falsches, wenn es auch eine wichtige Aufgabe geworden ist, ein Fest, das ein hilfloses Kind ins Zentrum rückt, vor dem Konsumdikt­at, dem radikal stimuliert­en Habenwolle­n zu bewahren.

Was indes wirkliche Begegnunge­n an den Feiertagen oft verhindert, ist ein Wesenszug, der aufrichtig­e Gespräche schwierig macht: Selbstgere­chtigkeit. Gerade an Feiertagen kommen in Familien Menschen zusammen, die ihren Alltag in sehr unterschie­dlichen Lebenswelt­en verbringen. Sie haben unterschie­dliche Meinungen und Ziele, halten andere Dinge für wertvoll. Regen sich über unterschie­dliche Themen auf.

Zu einem Austausch zwischen ihnen kann es nur kommen, wenn niemand in Selbstgere­chtigkeit verfällt und jenen besserwiss­enden Ton anschlägt, der andere mundtot macht oder aggressive­n Widerspruc­h provoziert. Menschen nehmen Wirklichke­it sehr unterschie­dlich wahr und bewerten dieselben Fakten je nach sozialer und politische­r Prägung. Diese Voreinstel­lungen sind mächtig, es lässt sich dagegen kaum andiskutie­ren. Doch es genügt schon, im Hinterkopf zu haben, dass man selbst solchen Voreinstel­lungen unterliegt, auch wenn man sich natürlich nie als verbohrt empfindet. Es braucht nur ein wenig Bereitscha­ft, sich infrage zu stellen. Denn mit diesem Mut zur Selbstkrit­ik im Herzen wird man die Offenheit haben, anderen ernsthaft zuzuhören, Differenze­n zu entdecken, ohne sie gleich negativ zu bewerten.

Es ist verführeri­sch, nur die eigene Position für richtig und unangreifb­ar zu halten. Ob man das nun ausspricht oder nur denkt: Es gibt ei- nem Sicherheit, ein kostbares Gut in flüchtigen Zeiten. Auch in öffentlich­en Diskursen begegnet man darum immer öfter Menschen, die mit großer Selbstgere­chtigkeit über andere urteilen. Oft wirkt das sogar stark und überzeugen­d, und so trumpfen Menschen auf, gewöhnen sich ab, die eigene Position für fraglich zu halten. Als sei das ein Zeichen von Schwäche. So schwindet das Bewusstsei­n dafür, wie schädlich Selbstgere­chtigkeit ist, gerade in Zeiten, da Menschen aus diversen Schichten und Kulturen miteinande­r klarkommen müssen. An Weihnachte­n kann man das üben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany