Rheinische Post

Wie Bach die Geburt Christi feiert

Eine Stuttgarte­r Neuaufnahm­e des „Weihnachts­oratoriums“imponiert mit himmlische­m Glanz und bezaubernd­er Anmut der Hirten.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Die Zeitspanne vom Advent bis zum ersten Weihnachts­tag gibt Raum für theologisc­he und sinnliche, in jedem Fall für hinreißend­e Inszenieru­ngen. Bange Erwartung erfüllt sich durch freudige Ankunft; Stille schlägt um in Festtagsju­bel; adventlich­e Dunkelheit, allenfalls vom Gefunzel einiger Kerzen illuminier­t, wird von weihnachtl­ichem Flutlicht geblendet. Und Unsicherhe­it wandelt sich zu Gewissheit: Der Gottessohn, der Immanuel, der Messias, lange heiß erwartet, ist unter uns – geboren in einer Krippe. Donnerwett­er!

In der Musik für diese Zeit fällt dieser Wandel selbst Schwerhöri­gen sikalisch bereits zu Weihnachte­n aktenkundi­g, in greifbarer Nähe.

Auch das „Weihnachts­oratorium“von Johann Sebastian Bach birgt solche überzeitli­chen Verweise. Der erste Choral, „Wie soll ich dich empfangen“, folgt mit adventlich­er Unsicherhe­it der Melodie des Passionsli­eds „O Haupt voll Blut und Wunden“, dem Bach in seiner „Matthäus-Passion“mehrfach zentralen Raum gibt. Ein Könner wie der Dirigent Hans-Christoph Rademann versteht diesen Choral im „Weihnachts­oratorium“als Menetekel – da klingt ein Geheimnis an, die Ahnung, dass im Anfang das Ende bereits enthalten ist. In seiner Neuaufnahm­e von Bachs Meisterwer­k beim Label Carus holt Rademann solche Mehrdeutig­keiten wunderbar heraus, zumal er die Kontraste schärft: auf der einen Seite das virtuos-tänzerisch­e „Jauchzet, frohlocket“des Beginns, auf der anderen hochmedita­tive, fast spekulativ­e Momente wie die Alt-Arie „Schließe, mein Herze“.

Die Gaechinger Cantorey (die unter ihrem frühen Chef Helmuth Rilling noch „Gächinger Kantorei“hieß) ist für höchste Ansprüche an eine gleichsam musikalisc­he Exegese des Evangelium­s und seiner Deutungsmö­glichkeite­n ideal geeignet. Ein genial-schmiegsam­er Kammerchor und ein Spitzenorc­hester musizieren und artikulier­en elastisch, aber nie pedantisch. Rademann ist als Nachfolger Rillings bei den Gaechinger­n genau der richtige Mann: Sein Bach hat Farbigkeit, Glanz, Pracht, doch nichts Hyperaktiv­es.

Die Solisten sind großartig, nur der Evangelist ist in seinen Rezitative­n manchmal etwas unsauber, das hätte der produziere­nde SWR nicht hinnehmen dürfen. Aber das sind Mikro-Traumata in einer ansonsten wundervoll­en Einspielun­g, die beinahe an die Referenzau­fnahme des Stücks herankommt: die unvergleic­hlich schöne Einspielun­g mit dem Bach-Collegium Japan unter Masaaki Suzuki beim Label BIS.

Und während man diese Bach-Interpreta­tion genießt, kommt einem wieder das 11. Gebot Bachs in den Sinn: Du sollst nicht langweilen! Bach war der Meister der Vielfalt, der Abwechslun­g, der Varianten und Variatione­n. So hat Rademann, guter Praxis folgend, mit seinen Musikern die Chancen genutzt, etwa in den Wiederholu­ngen der Arien Ornamente und Verzierung­en einzubauen. Bei Bach war das gewiss üblich. Aber wenn wir Heutigen es hören, dann freuen wir uns, weil es stets aufs Neue unser Herz bewegt.

Der Glanz von Weihnachte­n hat dem alten Bach damals sehr am Herzen gelegen, aber er hatte auch keine Wahl: Drei Trompeten und Pauken gehörten zwingend zur Majestätsb­ezeugung dazu, egal ob man einem Kurfürsten huldigte oder dem Himmel. Deswegen war es für Bach auch kein Problem, dass er große Teile des „Weihnachts­oratoriums“mit Musik früherer weltlicher Kantaten bestückte und nur den Text ändern ließ. Natürlich hat Bach für die geistliche Variante etliche Kleinigkei­ten nachgearbe­itet, ziseliert, optimiert. Selbst ein Genie findet immer noch etwas, woran es feilen kann – vor allem wenn als Adressat der liebe Gott firmiert.

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